Fotos: Oliver Pohl / Remystahl
Hochleistungs- und Sonderwerkstoffe sind das Metier von Remystahl. Das heutige Handelsunternehmen mit Sitz in Hagen, Westfalen, ist aus einem Stahlwerk entstanden. Damals wie heute stehen besondere Werkstoffe im Fokus des unternehmerischen Handelns. Geschäftsführer Thomas Hlousek und Pierre Hermsdorf, Leiter Einkauf und Vertrieb, stellen im Gespräch mit Edelstahl Aktuell das Unternehmen vor, erläutern den Qualitätsanspruch von Remystahl und geben Einblick in die Weichenstellung für die Zukunft.
Im Jahr 1856 wurden die Grundsteine für das heutige Unternehmen Remystahl gelegt. Damals gründete Heinrich Remy unter dem Namen Remy in Hagen ein Stahlwerk. Von Anfang beschäftigte sich das Unternehmen mit Werkstoffen, die in ihren Eigenschaften besonders waren, um den teils sehr individuellen Kundenanforderungen zu entsprechen. So etwa der Edelstahl für Transformatoren und Gasstandturbinen, die Siemens baut. Ein Beispiel unter vielen, die Piere Hermsdorf mühelos heranzieht, als wäre er bereits vor 100 Jahren für das Unternehmen tätig gewesen. Das Werk war ein Unternehmen mit Fachwissen, das eigene Güten kreierte und manches Patent erhielt. Einige Patente, schmunzelt Thomas Hlousek, bestehen auch heute noch.
In den 1990er Jahren musste allerdings eine Grundsatzentscheidung her. Das Werk war veraltet. Neben den nicht unbeträchtlichen Investitionen, die für eine Modernisierung erforderlich gewesen wären, hätte das mittelständische Unternehmen in ganz anderen Dimensionen denken müssen. Ein Schritt, der zu gewagt schien. Stattdessen trafen die Eigentümer eine Entscheidung, die sich aus heutiger Sicht als goldrichtig erwies: Remystahl wurde umgewandelt in ein reines Handelshaus. Vom Hersteller zum Verkäufer, am Produkt änderte sich nichts: Hochleistungs- und Sonderwerkstoffe in einer Tiefe und Breite, wie sie im Markt ihresgleichen suchen.
Das Sortiment
Auch heute noch handelt Remystahl mit Stabstahl in allen gängigen Formen aus nicht alltäglichen Werkstoffen, die eines eint: Sie sind kein Standard, verfügen über besondere Eigenschaften und werden in einer Qualität vorgehalten, die Remystahl vom Wettbewerb abhebt. Über 80 verschiedene Werkstoffe sind mittlerweile im Programm. Das Sortiment reicht von hochwarmfesten Werkstoffen über amagnetische Stähle, Sonderwerkstoffen und hitzebeständige Stähle bis zu Werkstoffen für die Luft- und Raumfahrt. „Manche der heutigen Werkstoffe gehen zurück auf Remy-Entwicklungen“, zieht Thomas Hlousek stolz die Verbindung zu den Unternehmenswurzeln. Im Jahr 2021 wurde das Angebot um die Nickelbasislegierungen Alloy 718, Alloy 625 und Alloy 80A ergänzt.
Das Wissen
Das Remystahl auch die Produktionsseite kennt, ist die Basis für den Erfolg als Handelshaus. Durch die vielen Mitarbeiter, die den Weg des Wandels gemeinsam mit Remystahl gingen, wurde auch das fachliche Wissen aus der Herstellerzeit erfolgreich transferiert. Das zahlte sich aus. Nahtlos geschah der Übergang vom Hersteller zum Händler. „Wir wissen, wie Stahl hergestellt wird. Wir wissen, wie mit wenigen Änderungen im Stahl Eigenschaften verändert werden können – sei es durch Wärmebehandlung oder die Chemie. Wir kennen die Einsatzzwecke“, führt Pierre Hermsdorf aus. Und davon profitieren die Kunden.
Die Kunden
Konzentrierte man sich zu Beginn der Handelstätigkeit auf Werkstoffe für die Hersteller von Befestigungselementen, die übrigens auch heute noch ein wichtiges Standbein für Remystahl sind, wurden mit der Zeit auch andere Branchen erfolgreich ins Visier genommen beziehungsweise Remystahl von Unternehmen aus anderen Branchen wahrgenommen und das Portfolio entsprechend ausgebaut. Heute gehören Unternehmen aus der Luft- und Raumfahrt genauso zum Kundenstamm wie Unternehmen aus den Bereichen Energiewirtschaft, Öl und Gas sowie Armaturenhersteller.
In manchen Sparten, wie etwa für die Industrie für Befestigungselemente und der Luft- und Raumfahrt ist Remystahl Vollsortimenter. „Es kommt schon vor, dass wir einen Artikel in drei bis vier Ausführungen vorrätig haben; der Unterschied liegt in der Zulassung“, verrät Hermsdorf. „Unser Steckenpferd sind die Sonder- und Hochleistungswerkstoffe. Hier haben wir unser Standing im Markt. Wir bieten Werkstoffe in einer Tiefe und Breite wie kaum ein anderer, denn unser Anspruch ist, dass ein Kunde alles bei uns kaufen kann und nicht bei verschiedenen Händlern.“
Geliefert wird, was der Kunde braucht. „Wir machen alles“, betont Hlousek. Alles bezieht sich dabei nicht nur auf die lieferbaren Werkstoffe, sondern beispielsweise auch auf die Mengen. Einzelstücke werden genauso geliefert wie Aufträge über 5 Tonnen. Reparaturbedarfe werden genauso bedient wie Materialabrufe von Werkstoffen, die Remystahl für Kunden einlagert und auf Abruf bereitstellt. „Wir machen keinen Unterschied zwischen klein und groß“, bekräftigt Hermsdorf und lacht: „Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Lieferungen wir tatsächlich per Paketdienst statt mit einer Spedition zu unseren Kunden schicken.“ Aber auch das macht Remystahl besonders und hebt das Unternehmen vom Wettbewerb ab – die Individualisierung, wie sie von Remystahl gelebt wird, ist für viele Wettbewerber einfach nicht darstellbar. Diese Flexibilität sei aber auch nur möglich, da Remystahl als vergleichsweise kleines Handelshaus agiert.
Zu den angebotenen Dienstleistungen gehören neben dem Sägen von Durchmessern bis zu 525 mm auf den unternehmenseigenen Präzisionssägen auch das Schälen, die Wärmebehandlung sowie Sonderprüfungen, Abnahmen und Zertifizierungen. Hierfür arbeitet Remystahl mit langjährigen und starken Partnern in der Region zusammen.
Das Besondere
„Kommen wir noch einmal zurück auf die Individualisierung: Für uns gehört der Einkauf von Sonderschmelzen zu unserem täglichen Geschäft“, legt Hermsdorf dar. Denn nur in Sonderschmelzen seien die Eigenschaften umsetzbar, die Kunden für bestimmte Anwendungszwecke benötigen oder die durch Normen und Vorschriften vorgegeben sind. Remystahl fungiert als Werkstoffberater und als Schaltstelle zwischen Werk und Kunde. „Häufig ist es so, dass wir mit unserer Expertise die chemischen Eigenschaften und die Mechanik definieren und den Werkstoff gemäß den normativen Vorgaben des Kunden gemeinsam mit dem Werk entwickeln.“ Auch die Auswahl des Werkes liegt bei Remystahl – erstes Kriterium ist, ob das Werk die entsprechende Zulassung besitzt. Das zweite Auswahlkriterium ist ganz klar die Qualität.
Apropos Zertifizierungen oder auch Sonderprüfungen und Kundenzulassungen: Das ist der Stoff, der aus Stählen die besonderen Remystahl-Werkstoffe macht. Denn Stahl ist nicht gleich Stahl. Und darin liegt eine der Stärken von Remystahl: Der hochwertige Spezialstahl und die Nickellegierungen, die das Unternehmen im Programm hat, gehen weit über das Übliche hinaus, um den Gütestandards und Normen auch anspruchsvollster Branchen zu genügen. „Wir haben eigentlich wöchentlich Prüfer im Haus, die Sonderprüfungen oder TÜV-Abnahmen vornehmen“, reflektiert Hersmdorf.
Vieles dreht sich um die Qualität. Wen wundert es da, dass bei Remystahl eine strikte Wareneingangs- und -ausgangskontrolle vorgenommen wird? Jeder einzelne Kommissionierungsplatz ist mit Prüfgeräten ausgestattet. Neben der chemischen Analyse bietet Remystahl zusätzliche Prüfungen auf Magnetismus und zur Oberflächenkontrolle.
Vieles dreht sich um die Qualität. Wen wundert es da, dass bei Remystahl eine strikte Wareneingangs- und -ausgangskontrolle vorgenommen wird? Jeder einzelne Kommissionierungsplatz ist mit Prüfgeräten ausgestattet. Neben der chemischen Analyse bietet Remystahl zusätzliche Prüfungen auf Magnetismus und zur Oberflächenkontrolle.
Stolz berichten Thomas Hlousek und Pierre Hermsdorf, dass Remystahl sich derzeit in einer Prüfung zum „delegierten Lieferanten“ für die Luft- und Raumfahrtindustrie befindet. Dieser Prozess wurde von einem Kunden, der ein Zulieferunternehmen für Endkunden in diesem Industriezweig ist, angestoßen. Eine hohe Auszeichnung, wie Hlousek und Hermsdorf befinden, denn Lieferungen eines delegierten Lieferanten bedürfen keiner zusätzlichen Prüfung beim Kunden.
Das Heute
Aktuell geht Remystahl das Thema Digitalisierung an. Noch in diesem Jahr soll die Einführung eines neuen EDV- und eines neuen ERP-Programms abgeschlossen sein. Zudem wird an einer neuen Serverstruktur gearbeitet und noch in diesem Quartal sollen neue Arbeitsplätze umgesetzt sein. „Wir wollen unsere Infrastruktur auf den Höchststand heben, unseren Mitarbeitern die größtmögliche Flexibilität bieten und papierlos werden“, unterstreicht Thomas Hlousek. Für die Mitarbeiter im Büro bedeutet dies etwa, dass das Konzept des „Flying Desk“ umgesetzt wird. Für die Lagermitarbeiter wiederum sollen durch die geplanten Maßnahmen und Investitionen manuelle Tätigkeiten minimiert werden. Was früher händisch in einem Richtschein ausgefüllt werden musste, wird mit dem Tablet in der Hand gescannt.
„Unter´m Strich sollen unsere Mitarbeiter gerne zur Arbeit kommen und ihre Tätigkeit so bequem und einfach wie möglich ausführen können“, resümiert Pierre Hermsdorf.
Die Zukunft
Remystahl möchte weiterwachsen, maßvoll in kleinen Schritten oder auch „gesund und nachhaltig“, wie Thomas Hlousek betont. Geplant sei, für die Kunden im Bereich Befestigungselemente, Luft- und Raumfahrt sowie Öl und Gas das Angebot an Nickelbasislegierungen weiterauszubauen.
Auch eine weitere Branche hat Remystahl ins Auge gefasst: die Medizintechnik. Hierfür würden in naher Zukunft weitere Werkstoffe ins Portfolio aufgenommen werden.
Ein Blick in die vollen Lagerhallen genügt, um nachzuvollziehen, warum Remystahl bereits im letzten Jahr ein drittes Hallenstück gemietet hat. Diese neue Halle wird nun fit gemacht, um den Anforderungen des auf Sonderwerkstoffe und Nischenprodukte spezialisierten Unternehmens zu entsprechen. Das neue Hochregallager ist darauf ausgelegt, empfindliches Material und Oberflächen aufzunehmen. Es wird das Speziallager für hochsensible Werkstoffe, die ein besonderes Handling benötigen, wie etwa hochpolierter Stabstahl. „Derzeit befinden wir uns noch mitten in den Umbauarbeiten, so wird beispielsweise der Boden aufbereitet. Bereits bestellt und geliefert, aber noch nicht aufgebaut: das neue Hochregallager“, freut sich Hermsdorf. „Das wird uns nochmals einen deutlichen Schub für unsere Performance geben“, schließt Hlousek das Gespräch.
Keine Frage: Remystahl blickt außerordentlich zuversichtlich in die Zukunft. Dazu passt das Firmenmotto: Wir stehen auf Stahl und Nickel.
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