Fotos: Böllinghaus Steel GmbH
Die Böllinghaus Steel GmbH hat sich in ihrer 135-jährigen Geschichte als führender Anbieter in der Edelstahlindustrie etabliert. Durch eine außergewöhnliche Kombination aus einem umfangreichen Produktportfolio, schneller Lieferfähigkeit, hoher Flexibilität und einer kompromisslosen Qualitätsphilosophie hat das Unternehmen seine Position als verlässlicher Partner für unterschiedlichste Industrien gefestigt. Heute, unter der Leitung von Hartwig und Nina Härtel, den geschäftsführenden Gesellschaftern in der vierten und fünften Generation, steht Böllinghaus Steel nicht nur für Qualität, sondern auch für Innovation und nachhaltiges Wachstum. Im Rahmen eines ausführlichen Interviews mit Nina Härtel, dem neuen Geschäftsführer Jürgen Alex und Vertriebsleiter Philip Torger erhielten wir einen tiefen Einblick in die Geschichte, Strategie und Zukunftsvisionen des Unternehmens.
Eine Erfolgsgeschichte mit ungewöhnlichem Anfang
Die Geschichte von Böllinghaus Steel (ehemals Remscheider Walz- und Hammerwerke Böllinghaus GmbH & Co. KG) begann 1889 mit einer ungewöhnlichen Wette. Der Metzgermeister Herrmann Diederich Böllinghaus verkündete, ein Walzwerk in Remscheid zu errichten, obwohl er keine Erfahrung in der Stahlproduktion hatte. Glücklicherweise konnte er auf die Unterstützung seines Schwagers Johann Ludwig Härtel zählen, der das nötige Fachwissen mitbrachte. Diese Wette markierte den Beginn einer langen Erfolgsgeschichte, die das Unternehmen zu einem globalen Akteur in der Edelstahlbranche machen sollte.
Kerngeschäft und strategische Expansion
Das Kerngeschäft von Böllinghaus Steel liegt in der Produktion von warmgewalzten und kaltgezogenen Edelstahlprofilen, wie Flach-, Sechskant- und Vierkantstäben, die in zahlreichen Industrien Verwendung finden, darunter die Medizintechnik, Luft- und
Raumfahrt sowie die Öl- und Gasindustrie. „Unsere große Produktpalette ist auf die Endabmessungsnähe unserer Profile zurückzuführen, und so entstehen viele individuelle, kundenspezifische Lösungen“, erklärt Jürgen Alex, in der Geschäftsführung zuständig für Vertrieb und Produktion. „Diese exakte Fertigung spart unseren Kunden erhebliche Mengen an Material und Bearbeitungszeit, was sowohl wirtschaftlich als auch ressourcenschonend ist.“
Ein bedeutender Wendepunkt in der Geschichte von Böllinghaus Steel erfolgte Mitte der 1990er-Jahre durch die Entscheidung von Hartwig Härtel, das Walzwerk in Vieira de Leiria, Portugal, zu übernehmen. Diese strategische Entscheidung erwies sich als äußerst vorausschauend, da der portugiesische Standort heute das Rückgrat der operativen Tätigkeiten des Unternehmens bildet. Die Entscheidung, die Produktion in Portugal zu betreiben und dort weiter zu investieren, wurde durch die guten Rahmenbedingungen sowie die logistische Anbindung an internationale Stahlmärkte unterstützt.
„Die Nähe zu tiefseefähigen Häfen und einem guten Straßennetz ist entscheidend für unsere Lieferfähigkeit, insbesondere für die wichtigen amerikanischen Märkte“, erklärt Philip Torger, Vertriebsleiter bei Böllinghaus Steel. Diese Infrastruktur ermöglicht es Böllinghaus Steel, flexibel auf Kundenanfragen zu reagieren und sich den Anforderungen unterschiedlichster Industrien anzupassen.
Wachstum und technische Innovationen im Fokus
Böllinghaus Steel befindet sich in einer Phase des dynamischen Wachstums und der technologischen Erneuerung. Im Rahmen eines mehrjährigen Investitionsprogrammes setzt das Unternehmen Projekte in neuer Walztechnologie, neuer Wärmebehandlungstechnik, Automatisierung und Weiterverarbeitung um. Diese Maßnahmen ermöglichen es, die Produktpalette weiter auszubauen und neue Märkte zu erschließen.
„Wir haben eine klare strategische Ausrichtung: Wir wollen wachsen, und das in verschiedenen Dimensionen“, betont Jürgen Alex. „Mehr Werkstoffe, größere Abmessungen, erweiterte Wärmebehandlung und tiefere Weiterverarbeitung – in all diese Bereiche werden wir in den kommenden Jahren investieren.“
Ein besonders anspruchsvoller Markt, in dem Böllinghaus Steel erfolgreich Fuß gefasst hat, ist die Luft- und Raumfahrtindustrie. „Die Luft- und Raumfahrtindustrie stellt sehr hohe Anforderungen an Werkstoff, Prozess und Managementsysteme. Wir haben die notwendigen Zertifizierungen bereits erfolgreich durchgeführt und damit den Eintritt in diesen anspruchsvollen Markt geschafft“, erklärt Jürgen Alex. „Dieser Markt bietet mit seinen engen Spezifikationen und strengen regulatorischen Anforderungen ein gutes Umfeld, das uns langfristige Wachstumschancen eröffnet.“
Neben der Luft- und Raumfahrt widmet sich Böllinghaus Steel auch zukunftsweisenden Anwendungsthemen wie der Wassergewinnung und der Wasserstoffindustrie. „Wasserstoff als umweltfreundliche Energiequelle befindet sich in starkem Wachstum. Zur Lagerung, zum Transport und zum geregelten Einsatz sind technische
Lösungen erforderlich, und das wird auch die Nachfrage nach Edelstahllösungen steigern“, so Jürgen Alex weiter. Böllinghaus Steel wirkt aktiv an der Entwicklung von Vormaterial für Edelstahlkomponenten für diese wachsenden Industrien mit.
Digitale Transformation und Prozessoptimierung
Um den steigenden Anforderungen und der zunehmenden Komplexität der Geschäftsprozesse gerecht zu werden, hat Böllinghaus Steel beschlossen, sich auch digital neu aufzustellen. Ein neues ERP-System wird alle Produktions-, Prozess-, Personal-, Finanz- und Vertriebsdaten in einem zentralen System integrieren. „Die Einführung des Systems soll die bereichsübergreifende Zusammenarbeit verbessern, Geschäftsprozesse verschlanken und die Digitalisierung weiter vorantreiben“, erklärt Nina Härtel. Durch präzise Analysen und Berichte wird das Management zudem besser in der strategischen Planung und Umsetzung unterstützt.
Nachhaltigkeit und gesellschaftliche Verantwortung
Als Familienunternehmen, das sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung bewusst ist, setzt Böllinghaus Steel auf Nachhaltigkeit in allen Unternehmensbereichen. „Nachhaltigkeitsentscheidungen müssen auch auf
Managementebene geschehen“, betont Jürgen Alex. Ein wichtiger Teil der Nachhaltigkeitsstrategie des Unternehmens ist die Reduzierung des CO2-Fußabdrucks. „Die Hauptmenge CO2 unserer Produkte entsteht bei der Herstellung unseres Einsatzmaterials. Wir verfolgen dabei eine klare Strategie: ‚Je grüner der Strom, desto grüner ist unser Produkt.‘ Das bedeutet, dass wir von Stahlwerken zukaufen, die ihren Edelstahl auf der Basis von sortiertem Schrott und am besten eingeschmolzen mit erneuerbarer Energie produzieren.“
Böllinghaus Steel investiert kontinuierlich in Technologien zur Reduzierung der eigenen Emissionen. Ein Beispiel hierfür ist die Entscheidung, Brennersysteme so zu konstruieren, dass sie zukünftig mit einer Beimischung von Wasserstoff betrieben werden können. „Dies ist ein Schritt in Richtung einer kohlenstoffarmen Produktion und zeigt, dass wir bereit sind, in innovative und zukunftsweisende Technologien zu investieren, um unsere Nachhaltigkeitsziele zu erreichen“, erläutert Jürgen Alex.
Auch auf Mitarbeiterebene wird das Thema Nachhaltigkeit aktiv gelebt. In Portugal haben Mitarbeitende eine Kompost-Station errichtet, um Essensreste aus der Kantine zu verwerten. Auch der Papierverbrauch konnte durch optimierte Prozesse um 30 Prozent gesenkt werden. „Durch enge Zusammenarbeit, intensive Analysen und Diskussionen mit Kunden und Lieferanten konnten wir zudem eine erhebliche Reduktion von Verpackungsmaterial umsetzen“, berichtet Nina Härtel stolz.
Die Vision: Zukunft mit Edelstahl formen
Böllinghaus Steel hat eine klare Vision und Mission, die das Unternehmen fest in der Edelstahlindustrie verankert. Vor drei Jahren begann das Unternehmen, gemeinsam mit den Mitarbeitenden eine gemeinsame Ausrichtung zu definieren, um sicherzustellen, dass alle dasselbe Ziel verfolgen. Die Vision lautet: „Böllinghaus Steel – Your partner for shaping the future with stainless steel solutions“. „Das Motto spielt bewusst mit der Idee, dass das Unternehmen nicht nur Edelstahlprodukte formt, sondern auch die Zukunft gestaltet“, so Nina Härtel.
Die Mission, die seit der Gründung 1889 verfolgt wird, betont das Streben nach innovativen und nachhaltigen Produkten, um den Kunden einen echten Mehrwert zu bieten. Dies geht einher mit dem Ziel, sowohl ein verlässlicher Partner als auch ein guter Arbeitgeber zu sein. Der Erfolg von Böllinghaus Steel basiert maßgeblich auf einem qualifizierten und motivierten Team. Die Werte, die das Unternehmen prägen, sind Teamorientiertheit, Kreativität, Innovation, Flexibilität, Lösungsorientierung, Verantwortlichkeit und Solidarität.
Diese Werte spiegeln sich in der Art und Weise wider, wie Böllinghaus Steel seine Geschäfte führt und wie es mit seinen Kunden, Lieferanten und Mitarbeitenden interagiert. Als Familienunternehmen legt Böllinghaus Steel großen Wert auf einen respektvollen und wertschätzenden Umgang miteinander, sowohl innerhalb des Unternehmens als auch gegenüber Kunden und Lieferanten. Diese Grundsätze sind nicht nur Leitlinien, sondern gelebte Realität, die Böllinghaus Steel in einem wettbewerbsintensiven Markt erfolgreich machen.
Eine starke Unternehmenskultur und Mitarbeiterzufriedenheit
Böllinghaus Steel legt großen Wert auf eine familiäre
Unternehmenskultur, in der die Wertschätzung der Mitarbeitenden im Mittelpunkt steht. „Böllinghaus lebt diese familiäre Unternehmenskultur. Deshalb ist es uns wichtig, den Mitarbeitenden etwas zurückzugeben. Nicht nur durch finanzielle Leistungen wie beispielsweise eine betriebliche Altersvorsorge, sondern auch durch Gesten der Wertschätzung wie die alljährliche Weihnachtsfeier oder Geburtstagsgeschenke“, betont Nina Härtel. Flexible Arbeitszeiten, und kontinuierliche Weiterbildung sind weitere Maßnahmen, die zur hohen Mitarbeiterzufriedenheit beitragen.
In Portugal, wo Böllinghaus Steel der größte Arbeitgeber in der Region ist, spielt die Förderung junger Talente eine zentrale Rolle. „Es gibt dort wenig stahlspezifische Ausbildungsmöglichkeiten. Deshalb investieren wir in die Qualifikation von Talenten aus den eigenen Reihen“, erklärt Philip Torger. Kooperationen mit Universitäten und Bildungseinrichtungen sind essenziell, um den Fachkräftenachwuchs zu sichern. Auch in Deutschland bietet das Unternehmen duale Studiengänge und Praktika an, um junge Menschen für Böllinghaus Steel zu begeistern.
Böllinghaus Steel im europäischen Edelstahlmarkt: Zwischen Chancen und Herausforderungen
Böllinghaus Steel hat sich als bedeutender Akteur im europäischen Edelstahlmarkt etabliert und trägt mit seinen Produktionsstätten in Portugal sowie der Nutzung überwiegend europäischer Vormaterialien zur Stärkung der regionalen Stahlindustrie bei. Das Unternehmen bietet ein breites und spezialisiertes Produktportfolio an, das es zu einem wichtigen Anbieter von hochwertigen Edelstahlprofilen macht. Doch trotz dieser starken Position sieht sich Böllinghaus Steel mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert.
Der europäische Edelstahlmarkt wird zunehmend durch Billigimporte aus Asien belastet. Diese Importe stammen aus Ländern, in denen die Produktionskosten durch günstigere Rohstoffe, niedrigere Strompreise, weniger strenge Umweltauflagen und staatliche Unterstützung deutlich geringer ausfallen. Jürgen Alex, erklärt: „Diese ungleichen Wettbewerbsbedingungen machen es europäischen Unternehmen schwer, konkurrenzfähig zu bleiben.“ Die hohen Energiekosten in Europa, verstärkt durch den Ukraine-Krieg, stellen insbesondere für die Herstellung von Elektrostahl eine massive Herausforderung dar, da Strom hier neben den Legierungskosten der größte Kostentreiber ist.
Diese Marktverzerrungen führen zu einer verstärkten Abhängigkeit von Importen, da Produktionsausfälle und Kapazitätsengpässe in Europa die Nachfrage nicht decken können. „Je mehr Importe den Markt überschwemmen, desto stärker geraten die Preise unter Druck, was die heimische Produktion weiter schwächt. Wir setzen daher bewusst auf Vormaterialien aus Europa, um diesem Trend entgegenzuwirken“, betont Jürgen Alex.
Philip Torger, Vertriebsleiter bei Böllinghaus Steel, ergänzt: „Die aktuellen Marktbedingungen werden zusätzlich dadurch erschwert, dass die Europäische Union nicht ausreichend Regulierungsmechanismen eingeführt hat, um heimische Produzenten zu schützen. Wir müssen uns ständig anpassen und unsere Stärken ausspielen, um in diesem schwierigen Umfeld zu bestehen, aber wir wünschen uns auch mehr Unterstützung und politischen Schutz.“
Trotz dieser widrigen Umstände zeigt sich Böllinghaus Steel resilient und anpassungsfähig. „Für mich liegt der wahre Erfolg nicht in einzelnen Errungenschaften, sondern in der Fähigkeit, über mehr als ein Jahrhundert hinweg Standhaftigkeit zu beweisen und sich immer wieder neu auszurichten“, erklärt Nina Härtel. „In einer Branche, die von ständigen Auf- und Abschwüngen geprägt ist, haben wir gezeigt, dass wir in der Lage sind, auch in schwierigen Zeiten Kurs zu halten und unsere Partnerschaften zu pflegen. Diese Loyalität und das partnerschaftliche Verhältnis zu Kunden, Lieferanten und Mitarbeitenden haben es uns ermöglicht, stürmische Zeiten zu überstehen und optimistisch in die Zukunft zu blicken. Dabei haben unsere vorherigen Generationen, insbesondere mein Vater Hartwig Härtel, dieses Fundament maßgeblich geprägt.“
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