DESY: Neue Testmethode für Hochentropie-Legierungsforschung

Forschende des Deutschen Elektronen-Synchrotrons DESY haben laut Pressemitteilung ein Verfahren entwickelt, um Materialien für die Wasserstoffindustrie schneller zu testen und ihre Eigenschaften bis auf atomare Ebene zu analysieren. Als erstes hätten sie damit Hochentropie-Legierungen auf ihre Korrosionsbeständigkeit gegen Wasserstoff geprüft und festgestellt, dass diese herkömmlichen Legierungen überlegen seien.

Das Team um Konstantin Glazyrin habe für das Verfahren die Strahlführungen P02.2 und P61.2 an DESYs Röntgenstrahlungsquelle PETRA III genutzt. In diesen spezialisierten Anlagen hätten sie Pulverproben verschiedener Legierungen in einer Diamantstempelzelle unter hohem Druck Wasserstoff ausgesetzt und mithilfe der Pulverdiffraktions-Technik die Wechselwirkungen beobachtet. Mit der Röntgenstrahlung von PETRA III hätten sie kleinste Strukturveränderungen in der polykristallinen Materialprobe analysiert und diese anhand der Beugungsmuster charakterisiert.

Als Studienobjekte habe das Team Hochentropie-Legierungen gewählt, darunter die Cantor-Legierung aus Chrom, Mangan, Eisen, Kobalt und Nickel sowie zwei Legierungen der Platingruppe mit Iridium, Osmium und Ruthenium. Diese Legierungen würden als potenzielle Materialien für den Energiesektor betrachtet, insbesondere wenn fossile Energieträger durch Wasserstoff ersetzt werden sollen, so DESY.

Hochentropie-Legierungen seien Verbindungen aus mindestens fünf Elementen, deren atomare Struktur vielfältig und „ungeordnet“ sei. In den letzten Jahren habe die Forschung erkannt, dass solche Metalllegierungen und Keramiken stabiler seien als herkömmliche Legierungen mit weniger Elementen. Edelstahl etwa sei eine Legierung aus Eisen, Kohlenstoff und Chrom. Erst mit mindestens fünf Elementen, die im Material homogen verteilt sind, würde daraus eine Hochentropie-Legierung.

„Dabei tritt die Entropie auf der mikroskopischen Ebene auf“, so Konstantin Glazyrin. „Jedes Atom ist von verschiedenen andersartigen Atomen umgeben, und die entsprechend chaotische elektrische Struktur macht es Wasserstoffatomen offenbar schwer, anzudocken und dadurch das Material zu destabilisieren.“ Korrosion durch Wasserstoff – das ist nach Presseinformationen ganz ähnlich wie beim Rosten von Metallen durch Kontakt mit Wasser und Sauerstoff – zersetzt das Material mit der Zeit.

In ihren Untersuchungen hätten Glazyrin und sein Team herausgefunden, dass die Cantor- und Platingruppen-Legierungen im Vergleich zu herkömmlichen Stahl- und Berylliumkupfer-Legierungen widerstandsfähiger gegenüber Wasserstoffkorrosion seien. Berylliumkupfer werde in der Wasserstoffindustrie häufig eingesetzt, sei jedoch nach Angaben des DESY giftig und schlecht recycelbar, weshalb alternative Materialien wünschenswert seien.

Die neuen Legierungen seien nicht toxisch, gut recycelbar und hätten in den Tests bei Raumtemperatur und erhöhtem Druck eine geringere Anfälligkeit für Wasserstoffkorrosion gezeigt. „Quantifizieren lässt sich dieser Vorteil schlecht, weil er stark von den Einsatzbedingungen abhängt“, so Glazyrin. „Leider konnten wir nicht alle möglichen Bedingungen untersuchen.“ Die Studie könnte jedoch weitere Forschung anregen, da sie zeige, dass sich der Aufwand lohnen könnte, insbesondere für Anwendungen wie die Beschichtung von Anlagen, in denen Wasserstoff produziert, transportiert oder gespeichert werde.

Hochentropie-Legierungen würden erst seit 20 Jahren erforscht und ihre Verarbeitung von Pulver zu Beschichtungen sei noch schwierig und teuer. Glazyrins Methode habe das Potenzial, schneller und kostengünstiger neue nachhaltige Materialien zu identifizieren. Diese ersten Ergebnisse zu Hochentropie-Legierungen könnten der Auftakt für weitere Forschung sein, um die Entwicklung dieser Materialien voranzutreiben. „Mit unserer Grundlagenforschung schaffen wir Basis und Ausgangslage für weitere Studien“, so Hanns-Peter Liermann, verantwortlicher Wissenschaftler an der PETRA III-Strahlführung P02.2. „Und wenn potentielle Industriepartner darauf aufmerksam werden und mit uns gezielte Projekte durchführen, könnten wir vergleichsweise schnell aussagekräftige Ergebnisse erzielen. Zumal wir auch in die Software zur Auswertung der Daten viel investiert haben, die dies erleichtert.“

Hochentropie-Legierungen für die Kernfusion

„Die Regierung investiert zurzeit viel Geld in die Erforschung der Kernfusion zur Energieerzeugung, weil sie in einer Zukunft mit erneuerbarer Energie auf Basis Wind, Sonne und Wasser für die Grundlast sorgen soll, wenn die Sonne mal nicht scheint oder der Wind nicht weht“, so Liermann. Bei Kernfusion wird Wasserstoff zu Helium fusioniert und dabei Energie frei – ein Prozess, wie er auch im Innern der Sonne stattfindet. Anders als die Kernspaltung in Kernkraftwerken produziert er auch kaum hochradioaktiven Müll. Er erfordere aber eben jede Menge Wasserstoff, der bei enormen Druck- und Temperaturverhältnissen umgewandelt wird. Und auch dafür seien einerseits die Hochentropie-Legierungen interessant, um zum Beispiel die Reaktoren damit auszukleiden. Und zum anderen könne das neue Verfahren demnächst auch imstande sein, selbst die enormen Drücke und Temperaturen an den Wänden eines Fusionsreaktors zu simulieren: „Wenn PETRA III in den kommenden Jahren wie geplant zu PETRA IV aufgerüstet wird“, so Liermann weiter, „planen wir dort eine Strahlführung, die auch dazu genutzt werden kann.“ Gezielte Experimente zur Entwicklung von Fusionsreaktortechnik sind dann möglich.

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Sonja Wingels
Sonja ist Redakteurin bei der Edelstahl Aktuell. Nach ihrem Studium der Psychologie an der HHU in Düsseldorf und selbstständiger Arbeit als Content Creator nutzt sie nun diese Erfahrungen, um zum Erfolg der Zeitung beizutragen und ihr Fachwissen in der Edelstahlbranche zu vertiefen.