Fotos: Rosswag Engineering / Edelstahl Rosswag
Dr. Gregor Graf ist ein Experte im Bereich des Metall-3D-Drucks. Seit 2014 hat er maßgeblich zur Entwicklung der additiven Fertigung bei Rosswag beigetragen. Er hat mit seiner Faszination für funktional gradierte Materialien, die Verbindung von konventioneller und additiver Fertigung und für digitale Lösungen, Effizienzsteigerungen nicht nur bei Rosswag, sondern in der ganzen Industrie vorangetrieben.
EA: Wie war Ihr Werdegang und wie sind Sie in die Edelstahlbranche gelangt?
GG: Ich habe Maschinenbau studiert und bin schon seit 2012 bei Rosswag. Damals habe ich als Praktikant in der Fertigung angefangen. Ich habe dann meine Masterarbeit über ein additiv gefertigtes Stechdrehwerkzeug mit integrierten Kanalstrukturen geschrieben, welches mittlerweile in Serie hergestellt wird. Nach Abschluss meiner Masterarbeit 2014 habe ich die Möglichkeit bekommen, bei Rosswag die Division Rosswag Engineering mit Fokus auf den Metall 3D-Druck aufzubauen. Ich war der erste Mitarbeiter in dem Geschäftsbereich und durfte nach und nach ein Team aufbauen. Mittlerweile sind wir 15 Mitarbeiter, haben drei Maschinen und eine der weltweit ganzheitlichsten Prozessketten, da wir nicht nur Bauteile, sondern auch das zugehörige Metallpulver herstellen.
2023 habe ich zusätzlich die Chance bekommen, die mechanische Fertigbearbeitung mit etwa 20 bis 25 Mitarbeitern zu übernehmen. Hier werden sowohl CNC-Finish-Zerspanung von Schmiedeprodukten durchgeführt als auch technologisch anspruchsvolle 3D-Druck-Anwendungen veredelt. Parallel dazu habe ich, damit es nicht zu langweilig wird, auch noch im Juni meine Doktorarbeit abgeschlossen (lacht). Dabei ging es um die funktionale Gradierung von Materialeigenschaften in der additiven Fertigung.
Edelstahl steht bei uns, wie der Name Edelstahl Rosswag schon vermuten lässt, historisch im Mittelpunkt.
Daher habe ich schon meinen ganzen Werdegang mit Edelstahl und über 400 verschiedenen Werkstoffen, darunter auch Nickel- und Titanlegierungen, gearbeitet.
EA: Was macht für Sie die Faszination von Edelstahl und von Metall 3D-Druck aus?
GG: Mich fasziniert es, wie Edelstahl und 3D-Druck es ermöglichen, durch Variation der Legierungsbestandteile in Kombination mit der flexiblen Geometrie im 3D-Druck funktionale Optimierungen zu erzielen. An einer Stelle, an der, häufiger Verschleiß auftritt erhöht man die Härte, an einer Stelle, die wiederkehrender Belastung standhalten muss, verbessert man die Duktilität, damit es nicht zu Rissen oder Brüchen kommt und an einer anderen Stelle achtet man auf besonders wärmeleitende Materialeigenschaften. Dazu kommt die Flexibilität, hier einen Hohlraum zu schaffen, da einen Kanal um die Ecke zu leiten und dort 20 Einzelkomponenten, die sonst geschweißt würden, in ein Bauteil zu integrieren.
Die Möglichkeit, komplexe, funktionsintegrierte Bauteile zu erstellen, die genau für eine Anwendung optimiert sind, begeistert mich. Das eröffnet völlig neue Design- und Funktionsmöglichkeiten, die vielleicht 50 Prozent weniger kosten und 200 Prozent mehr Performance bieten, so schafft man wirklich einen Mehrwert.
EA: Welche Ziele möchten sie beruflich noch erreichen?
GG: Ich bin aktuell sehr zufrieden, aber jetzt, nach Abschluss der Doktorarbeit, habe ich wieder freie Kapazitäten im Kopf für neue Ideen. Ich möchte Synergien zwischen additiver und konventioneller Fertigung vorantreiben, neue Geschäftsmodelle entwickeln und technische Lösungen für neue Branchen erschließen. Großen Fokus lege ich momentan auf die Digitalisierung, Effizienzsteigerung, das Erschließen neuer Märkte und Plattform-Ökonomie.
Ich sehe großes Potenzial darin, dass Unternehmen in der Industrie besser zusammenarbeiten und ihr Wissen über digitale Plattformen teilen. Viele Unternehmen fangen bei null an und führen Tests durch, die bereits hunderte Male von anderen Firmen mit der gleichen Maschine gemacht wurden. Das ist ineffizient. Deshalb haben wir die Plattform AddiMap entwickelt. Diese Plattform ermöglicht es Unternehmen, die im Metall-3D-Druck tätig sind, ihre gesammelten Daten, wie Prozessparameter und Materialeigenschaften, zu teilen und sogar zu verkaufen. Das versetzt Unternehmen in die Lage, schneller mit der Entwicklung eigener Anwendungen beginnen zu können, ohne erst langwierige und teure Vorversuche durchführen zu müssen.
Ein weiteres Ziel ist, es möglichst viel zu automatisieren und Prozesse durch digitale Workflows und KI-Anwendungen effizienter zu gestalten. Wir möchten hierfür unter anderem flexible Standards schaffen, die auf verschiedene Bauteile übertragbar sind und streben einen „digitalen Co-Pilot“ an, der den Mitarbeitenden relevante Informationen und Daten wie Arbeitsanweisungen, Messprotokolle, Montage- und Zerspanungsvorgaben zur richtigen Zeit zur Verfügung stellt.
EA: Wo sehen Sie die größten Veränderungen der Branche?
GG: In den letzten zehn Jahren hat sich in der 3D-Druckbranche viel verändert. Zu Beginn meiner Tätigkeit gab es nur etwa fünf qualifizierte Werkstoffe, und das hat uns oft vor Herausforderungen gestellt, wenn Kunden spezielle Legierungen für ihre Anwendungen brauchten. Heute sieht das ganz anders aus: Wir arbeiten mit über 50 verschiedenen Legierungen und haben sogar einen eigenen Atomizer, um Sondermetallpulver in kleinen Mengen in wenigen Tagen herzustellen.
Die Branche hat auch einen realistischeren Blick auf den 3D-Druck entwickelt. Früher gab es überzogene Erwartungen, dass bald alles von Pizza zu Turbinen mit Fingerschnipsen additiv gefertigt wird (lacht). Heute wird der 3D-Druck vor allem dann eingesetzt, wenn er einen klaren wirtschaftlichen oder technischen Mehrwert bietet.
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