Fotos: Böllinghaus Steel
Im Spotlight: Böllinghaus Steel
Ein Familienunternehmen, das sich der Tradition verpflichtet fühlt, aber mit Mut, Unternehmertum und Vision für die Zukunft plant: Edelstahl Aktuell zu Besuch am Verwaltungssitz von Böllinghaus Steel in Hilden. Hartwig und Nina Härtel, geschäftsführende Gesellschafter, geben Einblick in ein Unternehmen, das seine Wurzeln nicht vergessen hat, aber mit der Zeit geht.
Mit Stolz schaut Böllinghaus Steel auf eine über 130-jährige Tradition in der Stahlproduktion zurück. Von Anfang an dabei: die Familie Härtel. In vierter beziehungsweise fünfter Generation leiten Hartwig Härtel und seine Tochter Nina heute das Unternehmen. In Hartwig Härtels Ägide fielen sowohl die Entscheidung, Edelstahl ins Portfolio aufzunehmen, als auch der weitreichende Beschluss, in den 1990er Jahren das ursprüngliche Werk in Remscheid zu schließen und die Produktion nach Vieira de Leiria in Portugal zu verlegen. Seit der Werkschließung der Remscheider Walz- und Hammerwerke Böllinghaus & Co. im Jahr 2001 konzentriert sich das Unternehmen nun ausschließlich auf die Fertigung von Profilstählen aus nichtrostenden Stählen und Sonderstählen im eigenen Werk in Portugal nach internationalen Normen.
Edelstahlprofile für zahlreiche Anwendungen
Heute ist der Name Böllinghaus Steel untrennbar mit Profilen verbunden. Genauer gesagt mit warmgewalzten und kaltgezogenen Edelstahlprofilen.
Die Produktpalette umfasst Profile in unterschiedlichen Formen und Längen. Flach- und Vierkantprofile sind sowohl kaltgewalzt als auch warmgezogen verfügbar. Sechskantprofile produziert Böllinghaus Steel kaltgezogen nach EN 10278. Gefertigt sind die Profile aus unterschiedlich legierten Stahlgüten. Dazu gehören Austenite, Ferrite, Martensite, Duplex und Sonderstähle.
Ob warmgewalzt oder kaltgezogen, geglüht, gebeizt, gerichtet, in Herstellungslängen oder Fixlängen – Böllinghaus Steel bietet seinen Kunden Standard- und maßgeschneiderte Sonderanfertigungen hochwertiger Edelstahlprofile.
Dabei werden Sonderanfertigungen und Spezialprofile für besondere Anwendungen in enger Absprache mit den Kunden realisiert. Immer in den Prozess einbezogen: der zuständige Vertriebsmitarbeiter sowie der Produktionstechniker aus Portugal.
Mit den Dienstleistungen Sägen, Polieren und Schleifen rundet der Spezialist für warmgewalzte und kaltgezogene Edelstahlprofile sein Angebot ab.
Wurden die ersten rostfreien Edelstähle, die Anfang der 1980er-Jahre das Portfolio von Böllinghaus Steel ergänzten, noch für Profile für medizinische Instrumente produziert, so haben sich der Anwendungsbereich und die Branchen für die hochwertigen Standard- und Sonderprofile von Böllinghaus Steel deutlich erweitert: vom Anlagen- und Apparatebau über die chemisch-pharmazeutische Industrie, Energie- und Offshore-Industrie, dem Maschinenbau bis hin zum Marine- und Schiffbau. Auch die Luft- und Raumfahrtindustrie wird von Böllinghaus Steel beliefert. Im April 2020 erhielt das Unternehmen vom deutschen TÜV die weltweite Zulassung als Aerospace-Zulieferer.
Knotenpunkt Hilden
Böllinghaus Steel agiert international, aber die Fäden laufen im Verwaltungssitz in Hilden zusammen. Hartwig Härtel zeichnet verantwortlich für Einkauf, Finanzen, Produktion und Vertrieb. Nina Härtel ist zuständig für Marketing, Digitalisierung und HR. Zusätzlich zur eigentlichen Verwaltung arbeitet ein Großteil des Vertriebsteams in Hilden. Seit 1996 betreibt Böllinghaus Steel ein Walzwerk mit zwei Walzstraßen in Portugal. Neben der Produktion sind hier Einkauf, Logistik und Finanzen angesiedelt. Auch eine Personalabteilung ist vor Ort, arbeitet in Vieira da Leira doch rund 90 Prozent der Böllinghaus Steel Belegschaft. In den USA und Italien verfügt Böllinghaus Steel zudem über eigene Vertriebsniederlassungen.
Eine große Familie
In den modern gestalteten und großzügigen Büroräumen in Hilden, die sich in einer ehemaligen Lederwarenfabrik befinden, arbeiten die meisten der 27 Mitarbeiter ohne feste Arbeitsplätze. Stattdessen buchen sie sich wochenweise einen Schreibtisch in einem der Büros. Nina Härtel ist sich sicher: „Das fördert den Austausch unter Kollegen und insbesondere das Teambuilding und wird auch sehr gut angenommen.“ Positiver Nebeneffekt: Neue Mitarbeiter finden viel schneller ins Team, da ihnen durch wechselnde Sitznachbarn vielfältigere Kontaktmöglichkeiten ermöglicht werden und damit auch Einblicke in die jeweiligen Arbeits- und Aufgabengebiete.
Teil jeder Einarbeitung ist zudem ein Besuch im Werk in Portugal. „Das geht über eine reine Materialkunde sowie Schulungen durch Techniker hinaus“, erklärt Nina Härtel. Dabei wird darauf geachtet, dass im Werk jede Abteilung durchlaufen wird – vom Einkauf über die Logistik bis zur Produktion. „Wer mag, kann gerne im Werk mitarbeiten“, lacht Nina Härtel. Und erinnert sich in dem Moment an eigene Erfahrungen im alten Werk in Remscheid; durfte sie doch als Kind ihren Vater zu samstäglichen Rundgängen begleiten: „Ein Walzwerk hat einen eigenen Geruch. Den vergisst man nie.“
Neue Teammitglieder werden herzlich willkommen geheißen und Firmenjubiläen werden freudig begangen. Erst kürzlich feierte eine Jubilarin ihre 25-jährige Betriebszugehörigkeit und demnächst steht ein 30-jähriges Jubiläum an. Die Mitarbeiter identifizieren sich mit Böllinghaus, fühlen sich dem Unternehmen verbunden und das ist spürbar.
Es geht familiär zu bei Böllinghaus Steel. Ob Osterhase oder Adventskalender, eine After-Work Party mit Cocktailtaxi oder die Tischtennisplatte, die gerne in Pausenzeiten gemeinsam in Anspruch genommen wird – Feste werden gemeinsam gefeiert und hinter allem steht der Gedanke, eine große Familie zu sein. Eine Familie, über alle kulturellen und sprachlichen Grenzen hinweg. Hartwig Härtel ließ es sich bis zu Beginn der Coronapandemie nicht nehmen, regelmäßig im Werk in Portugal vor Ort zu sein. Auch währenddessen war er regelmäßig, wenn auch nicht so häufig wie früher, vor Ort.
Wie ernst Böllinghaus seine soziale Verantwortung nimmt, zeigt sich ganz aktuell in der Schutzengelaktion. Für die Ukrainehilfe von Ärzte ohne Grenzen produzierte ein Hersteller von Edelstahl-Outdoormöbeln Engel aus Edelstahl. 50 Prozent des Erlöses wurden an Ärzte ohne Grenzen gespendet. „Eine feine Sache“, befanden Hartwig und Nina Härtel und bestellten für jeden einzelnen Mitarbeiter von Böllinghaus Steel in Hilden, Portugal, Italien und den USA einen Engel.
Duales Studium bei Böllinghaus
Auch wenn viele Mitarbeiter dem Unternehmen über Jahrzehnte die Treue halten, behält Böllinghaus Steel den Nachwuchs im Blick. In Kooperation mit der FHDW Mettmann können junge Menschen bei Böllinghaus in Hilden ein duales Studium im Bereich „International Business“ absolvieren.
Bereits seit sieben Jahren besteht die Kooperation und es seien gute Erfahrungen gesammelt worden. Zwei Mitarbeiter haben diese Ausbildung bereits erfolgreich durchlaufen und bei Böllinghaus Steel freut man sich schon auf die beiden Neuen, die im Oktober beginnen werden. Der Fokus des dualen Studiums liegt dabei auf dem Bereich Vertrieb.
Das Ohr beim Kunden
Was produziert wird, muss auch verkauft werden. Das Team in Hilden besteht daher zu einem Großteil aus Vertriebsmitarbeitern, die sich auf Außendienst und Backoffice verteilen. Zu 90 Prozent besteht der Kundenstamm aus dem klassischen Großhandel und zu 10 Prozent aus Endverbrauchern, die spezialisierte Lösungen suchen und große Mengen abnehmen. Und so soll es auch bleiben: „Wir möchten nicht mit unseren Kunden in Wettbewerb treten“, betont Hartwig Härtel.
Für Böllinghaus Steel ist es entscheidend, das Ohr am Kunden zu haben. „Unser Vertriebsteam ist sehr viel beim Kunden“, unterstreicht Nina Härtel. „Für uns ist es wichtig, eine persönliche Verbindung zu unseren Kunden zu haben.“ Jedes Vertriebsmitglied hat seine ihm oder ihr fest zugeordneten Kunden und ist für ein festes Kundengebiet verantwortlich. Dabei wird die ganze Welt von Hilden aus betreut. Ausnahme: Für eine noch intensivere Betreuung des nordamerikanischen und italienischen Marktes hat Böllinghaus Steel sowohl in den USA als auch zuletzt in Italien ein Vertriebsbüro eröffnet.
Dann eben virtuell
Für ein Unternehmen wie Böllinghaus, das die Nähe zum Kunden sucht und ein gern gesehener Aussteller auf Messen wie der Stainless Steel World Conference & Expo in Maastricht und Singapur oder der wire und Tube in Düsseldorf ist, waren die Zeiten der Lockdowns und des Ausfalls persönlicher Besuche vor Ort eine Herausforderung. Eine Herausforderung, der sich Böllinghaus kreativ und mit Enthusiasmus stellte. Das Resultat: die Böllinghaus-VirtualExperience.com.
Konnte der Kunde also nicht besucht werden oder Böllinghaus auf einer Messe besuchen, so ermöglichte die neue Plattform digitale Besuche. Eine „virtual Experience“, die mehr ist als das reine Betrachten einer Webseite und dazu beitragen soll, dass „der Kunde den Kontakt mit einem besseren Gefühl erlebt“. Auch hier wird deutlich, wie wichtig für Böllinghaus der persönliche, menschliche Umgang ist.
Zu Messezeiten war der virtuelle Böllinghaus Steel Messestand freigeschaltet, der besucht werden konnte. Anstatt einen Flyer mitzunehmen, bestand die Möglichkeit, Flyer herunterzuladen und statt des persönlichen Gesprächs wurde gechattet. Zudem konnten online Besuchs- und Beratungstermine vereinbart werden und Unternehmensvideos angeschaut werden.
Auch wenn mittlerweile wieder ein wenig Alltag einkehrt, Messen ihre Türen öffnen und Kundenbesuche wieder möglich werden, so ganz möchte Böllinghaus Steel nicht von der „virtual Experience“ lassen. Nina Härtel verrät, dass geplant sei, die digitalen Angebote weiter auszubauen. Angedacht wird unter anderem ein virtueller Werksbesuch.
Eine starke Wette
Im vergangenen Jahr bestand das Walzwerk in Portugal 25 Jahre. Gefeiert wurde aufgrund der Coronapandemie nicht – aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Und in Vieira de Leiria tut sich derzeit einiges: Das Werk wird massiv aufgerüstet.
Das derzeitige Walzwerk ist bereits seit mehreren Jahrzehnten in Betrieb und wurde in regelmäßigen Abständen modernisiert. Nun investiert Böllinghaus Steel am Standort Vieira de Leiria in ein neues Walzwerk.
Das zusätzliche, vollautomatische Walzgerüst soll die Produktqualität weiter steigern und Böllinghaus ermöglichen, seine Abmessungspalette stark zu erweitern. Die neue Anlage wird auf dem neuesten Stand der Technik sein und entspricht höchsten Standards in Bezug auf den Energieverbrauch und die Nachhaltigkeit des Produktionsprozesses. „Ein Technologiesprung in die Zukunft“, freut sich Hartwig Härtel.
Der Liefervertrag mit einem italienischen Walzwerkhersteller ist geschlossen und im Mai 2021 haben die Bauarbeiten für ein neues zusätzliches Walzwerk begonnen. Hartwig und Nina Härtel rechnen damit, dass sich die Umsetzung dieses Großprojektes über die nächsten drei Jahre strecken wird. Der Abschluss der ersten Bauphase ist für Herbst 2022 geplant.
„Mit der Kapazitätserweiterung bieten wir unseren Kunden mehr Flexibilität und ein optimiertes Liefer- und Serviceprogramm. So können wir das Wachstum und den Erfolg unserer Kunden nachhaltig unterstützen und die Rahmenbedingungen schaffen, um unsere Kunden noch besser zu bedienen”, erläutert Hartwig Härtel.
„Der Bau des neuen Walzwerks wird uns in die Lage versetzen, schnell auf die Anforderungen jedes Kunden zu reagieren und maßgeschneiderte Lösungen anzubieten. Das neue Walzwerk ist ein Meilenstein für das gesamte Unternehmen im Hinblick auf die Produktion und den Vertrieb von rostfreiem Stabstahl“, ergänzt Nina Härtel. Dadurch, dass die Abmessungspalette vergrößert wird, tun sich für das Unternehmen zahlreiche neue Geschäftsfelder auf. Böllinghaus Steel stärkt nicht nur langfristig seine Wettbewerbsfähigkeit, sondern schafft eine solide Basis für weiteres Wachstum.
Mit den Worten „bei allen Tätigkeiten und Plänen bleibt das Wichtigste, dass Böllinghaus Steel ein Familienunternehmen ist“ schließt Hartwig Härtel das Gespräch und hebt damit nochmals die Essenz des Wirkens von Böllinghaus Steel nachhaltig hervor.
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Alle Bilder wurden vor der COVID-19-Pandemie bzw. unter Einhaltung der Abstandsregeln aufgenommen.