Foto: Dr. Lars Holldorf
Dr. Lars Holldorf erklärt im Gespräch mit „Edelstahl Aktuell“, wie Unternehmen dem Fachkräftemangel durch internationale Auszubildende und Fachkräfte begegnen können und warum eine gute Vorbereitung, kulturelles Verständnis und echte Wertschätzung die Basis für langfristigen Erfolg sind.
Im Porträt: Dr. Lars Holldorf, Gründer und Berater für internationale Auszubildendenvermittlung

EA: Herr Dr. Holldorf, wie kamen Sie zu Ihrer heutigen Rolle als Berater für internationale Ausbildungsintegration?
LH: Ursprünglich habe ich Betriebswirtschaftslehre studiert und war anschließend einige Jahre bei Bertelsmann tätig. Dort hatte ich die Gelegenheit, ein Auslandsprojekt in Dubai zu begleiten. Über dieses Projekt kam ich erstmals mit dem Thema Auslandsrekrutierung in Kontakt. Ursprünglich wollten ein Kollege und ich ein eigenes Unternehmen gründen, um deutsches Fachpersonal in die Golfstaaten zu vermitteln. Bei einem Testlauf stellten wir dann jedoch fest, dass das Potenzial in die entgegengesetzte Richtung deutlich größer ist. Das war im Jahr 2010, seitdem liegt mein beruflicher Fokus auf der Rekrutierung internationaler Fachkräfte für den deutschen Arbeitsmarkt.
Mit meiner Agentur, Dr. Holldorf Consult, begleite ich deutsche Unternehmen bei der Rekrutierung, Auswahl und Integration internationaler Auszubildender.
EA: Was unterscheidet Auslandsrekrutierung von Inlandsrekrutierung?
LH: Der größte Unterschied ist: Wir haben im Ausland keinen Fachkräftemangel – im Gegenteil. Wenn ein Kunde heute sagt: „Ich brauche 100 Auszubildende“, dann können wir innerhalb weniger Wochen eine ausreichende Zahl geeigneter Bewerber für Interviews bereitstellen. Die Herausforderung liegt also nicht im Finden, sondern im Prozess: von der Auswahl über das Visum bis zur Integration in Deutschland.
Wir begleiten Arbeitgeber daher Schritt für Schritt, um Fehler oder unnötige Verzögerungen zu vermeiden. Dabei ist es wichtig, nicht nur die richtigen Kandidaten zu finden, sondern auch die Arbeitgeber gut vorzubereiten. Denn Integration ist keine Einbahnstraße.
EA: Warum fällt es vielen Betrieben in der Edelstahlindustrie so schwer, junge Menschen für handwerkliche Berufe zu gewinnen?
LH: Dafür sehe ich drei Hauptgründe. Erstens den demografischen Wandel. Es gibt schlicht zu wenige junge Menschen, die nachrücken. Mit dem Renteneintritt der älteren Generationen verschärft sich diese Entwicklung und wichtiges Fachwissen geht verloren, bevor es weitergegeben werden kann.
Zweitens: das Image des Handwerks. Klassische Industrieberufe sind gesellschaftlich weniger anerkannt als früher. Viele Jugendliche entscheiden sich für ein Studium, obwohl sie in praktischen Berufen womöglich glücklicher und besser aufgehoben wären.
Und drittens: die mangelnde Ausbildungsreife vieler Schulabgänger. In den meisten Fällen liegt das nicht daran, dass sie unfähig oder unwillig sind, sondern an strukturellen Problemen im Bildungssystem. In Fächern wie Mathematik oder Physik fehlen oft Grundlagen, die für technische Ausbildungen essenziell sind. Betriebe müssen diese Lücken schließen, was Zeit, Geduld und Ressourcen erfordert. Vor allem kleinere Unternehmen stoßen da schnell an ihre Grenzen. Trotzdem gilt: Wer jetzt ausbildet, investiert in die Zukunft, denn ohne Ausbildung fehlt später die Fachkraftbasis.
EA: Was können Betriebe tun, damit eine Ausbildung mit lokalen oder internationalen Jugendlichen langfristig gelingt?
LH: Entscheidend ist, jungen Menschen Wertschätzung und Verantwortung zu geben. Viele wollen heute mehr, als nur mitzulaufen – sie möchten früh mitgestalten und ernst genommen werden. Betriebe, die hier flexibel und offen sind, haben deutlich bessere Chancen, Auszubildende auch langfristig zu binden.
Zudem lohnt es sich, in Unterstützung zu investieren: Lernhilfen, externe Angebote zur Förderung schulischer Inhalte, eine persönliche Bezugsperson und hilfsbereite Ansprechpartner tragen maßgeblich zum Erfolg bei. Denn nicht alle bringen die gleichen Voraussetzungen mit und eine Ausbildungsbegleitung zahlt sich fast immer aus.
Gerade bei Auszubildenden aus dem Ausland sehen wir eine disziplinierte Arbeitseinstellung. Viele von ihnen verfügen nicht nur über gute schulische Grundlagen, etwa in Mathematik oder Physik, sondern sind auch hoch motiviert, da ihre Aufenthaltsperspektive an den Ausbildungserfolg geknüpft ist.
Einige von ihnen gehören bereits nach wenigen Monaten zu den Klassenbesten, was sich auch in der Praxis bemerkbar macht. Damit die Integration gelingt, begleiten wir als Agentur nicht nur sprachlich, sondern auch interkulturell, denn Ankommen bedeutet mehr als nur Anreise.
EA: Wie unterstützen Sie Unternehmen und internationale Auszubildende konkret dabei, Integration und Ausbildung zu einem Erfolg zu machen?
LH: Entscheidend ist eine gute Vorbereitung – auf beiden Seiten. Die Auszubildenden lernen vorab Deutsch, in der Regel bis zum B1- oder B2-Niveau, und erhalten interkulturelle Trainings, die sie auch auf den Alltag in Deutschland vorbereiten. Dabei geht es nicht nur um die Arbeit, sondern auch um ganz praktische Dinge: zum Beispiel die deutsche Mülltrennung.
Auch für die Unternehmen bieten wir Schulungen an, beispielsweise zur interkulturellen Kommunikation oder zur Begleitung größerer Gruppen von Fachkräften und Auszubildenden. Wichtig ist auch der faire Umgang: Wir sensibilisieren die Betriebe für mögliche Missverständnisse oder Diskriminierung und stehen mit den Kandidaten in engem Austausch. Sollte es irgendwo haken, sprechen wir das frühzeitig an – immer lösungsorientiert. In der Praxis erleben wir sehr motivierte junge Menschen, die viel mitbringen, sowie Unternehmen, die mit der richtigen Begleitung sehr positive Erfahrungen machen.
EA: Lässt sich die Auslandsrekrutierung auch auf andere Bereiche, beispielsweise die Schichtarbeit, übertragen?
LH: Absolut. Laut einer aktuellen Studie sind in Deutschland über 270.000 Stellen für Schichtarbeiter unbesetzt – ein enormer Bedarf. Viele ausländische Arbeitskräfte fragen gezielt nach Schichten, egal ob Nacht-, Wochenend- oder Feiertagsschicht, da sie die Zuschläge attraktiv finden.
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