Foto: Cedric Fauntleroy/pexels
Edelstahl 316L ist seit Langem ein Standardwerkstoff in Bereichen mit hohen Hygieneanforderungen. Eine aktuelle Studie zeigt, dass sich seine Eigenschaften durch eine gezielte Veränderung der Oberfläche erweitern lassen. Dadurch wird seine antibakterielle Wirkung deutlich verbessert.
Selbst auf hochwertigen Edelstahloberflächen können sich Bakterien anlagern, vermehren und Biofilme bilden, die sich nur schwer entfernen lassen. In der Medizintechnik erhöht dies das Infektionsrisiko, in der Lebensmittelverarbeitung bedeutet es einen zusätzlichen Reinigungsaufwand und steigende Hygienekosten. Eine Forschungsgruppe aus Ljubljana hat nun untersucht, wie sich dieses Problem entschärfen lässt. Anstelle von Beschichtungen oder Zusätzen wie Silber oder Kupfer setzten die Forschenden auf eine gezielte Veränderung der Oberfläche.
Doppelter Behandlungsansatz: Anodisierung und Plasma
Im Mittelpunkt der Untersuchung stehen zwei Verfahren: Zum einen kam eine elektrochemische Anodisierung zum Einsatz, bei der auf der Oberfläche winzige Poren im Nanometerbereich durch Strom erzeugt werden. Andererseits wurde eine nicht-thermische Sauerstoffplasmabehandlung durchgeführt, bei der die Oberfläche chemisch verändert wird, indem der Sauerstoffgehalt erhöht und die Benetzbarkeit durch Wasser stark gesteigert wird.
Beide Verfahren sind einzeln bekannt, doch die Forschenden kombinierten sie erstmals systematisch für Edelstahl 316L. Die Hypothese besagt, dass Nanoporen die Oberflächenstruktur verändern und Plasma für mehr Sauerstoff sorgt und zudem eine wasserfreundliche, sogenannte hydrophile Oberfläche erzeugt, die wasseranziehend ist und damit sehr gut benetzbar ist. Zusammen könnten beide Effekte die Anlagerung von Bakterien verhindern.
Ergebnisse der Studie
Das Wissenschaftsteam analysierte die behandelten Oberflächen mit verschiedenen Methoden und prüfte ihr Verhalten gegenüber den zwei typischen Bakterienarten „Escherichia coli“ (Gram-negativ mit dünner Zellwand und äußerer Membran) und „Staphylococcus aureus“ (Gram-positiv mit dickerer Zellwand).
Bei der Nanostruktur zeigte sich: Bei einer Anodisierung mit 40 Volt entstanden Poren mit einem Durchmesser von 100 bis 150 Nanometern. Bei 60 Volt vergrößerten sich die Poren auf 150 bis 300 Nanometer. Entsprechend variierte die Oberflächenrauigkeit: Sie war bei 40 Volt geringer und bei 60 Volt deutlich ausgeprägter.
Auch die chemische Zusammensetzung änderte sich. Durch Anodisierung und Plasma entstand Chrom(III)-oxid (Cr₂O₃), ein entscheidender Bestandteil der Passivschicht von Edelstahl. Gleichzeitig wurde der Anteil von Chrom (VI), das für medizinische Anwendungen problematisch ist, reduziert. Die Plasmabehandlung erhöhte zudem den Sauerstoffgehalt und machte die Oberflächen extrem hydrophil, also stark wasseranziehend. Der Kontaktwinkel, also die Art und Weise, wie ein Wassertropfen auf der Oberfläche haftet, sank auf weniger als fünf Grad, was auf eine extrem wasseranziehende Oberfläche hindeutet.
Besonders eindrucksvoll waren die Ergebnisse bei den antibakteriellen Tests. Unbehandelter Edelstahl zeigte kaum Wirkung gegen Bakterien. Die Kombination aus 40 Volt Anodisierung und Plasma reduzierte „E. coli” um 78 Prozent und „S. aureus” sogar um 92 Prozent. Bei 60 Volt Anodisierung plus Plasma blieb die Wirkung deutlich sichtbar, erreichte aber nicht ganz die gleichen Werte.
Die Ergebnisse zeigen, dass die Nanostruktur allein nicht ausreicht. Erst in Kombination mit der Plasmabehandlung wird die gewünschte antibakterielle Wirkung erzielt.

Bedeutung für die Praxis
Die Studie macht deutlich, dass Edelstahl antibakteriell wirksam werden kann – und das ganz ohne Zusätze wie Silber, Kupfer oder Antibiotika. Diese sind häufig mit höheren Kosten, regulatorischen Auflagen oder biokompatiblen Risiken verbunden. Entscheidend ist allein eine gezielte Oberflächenmodifikation.
Damit eröffnet sich für die Edelstahlbranche eine Perspektive, die weit über den medizinischen Einsatz hinausreicht. In der Medizintechnik könnten Implantate, Instrumente und Geräte ein deutlich geringeres Infektionsrisiko bieten. In der Lebensmittelverarbeitung wären Anlagen und Behälter denkbar, die weniger anfällig für Biofilme sind und sich einfacher reinigen lassen. Auch in anderen Bereichen, in denen Hygiene eine große Rolle spielt, könnten künftig Edelstahloberflächen zum Einsatz kommen, die aktiv gegen Keime wirken – und damit zu einem klaren Verkaufsargument für Hersteller werden.

Einordnung für die Branche
Die Untersuchung liefert zwar noch keine marktreife Lösung, erbringt aber einen wissenschaftlichen Nachweis. Durch Anodisierung und Plasma lässt sich Edelstahl 316L gezielt antibakteriell behandeln. Für Hersteller von Edelstahlprodukten ergibt sich daraus eine klare Perspektive. Unternehmen, die in hochsensiblen Bereichen wie der Medizintechnik, der Lebensmittelindustrie oder der Pharmabranche tätig sind, könnten mit solchen Oberflächenbehandlungen künftig zusätzliche Sicherheit und einen Wettbewerbsvorteil bieten.
Gleichzeitig zeigt die Studie, dass sich die Eigenschaften von Edelstahl 316L allein durch eine Oberflächenmodifikation verbessern lassen, ohne dass seine bewährte chemische Zusammensetzung verändert wird. Für die Branche ist das ein deutlicher Hinweis darauf, wie sich bestehende Werkstoffe durch innovative Verfahren weiterentwickeln lassen. Damit können sowohl die steigenden Hygieneanforderungen erfüllt als auch der Trend zu nachhaltigen, additivfreien Lösungen aufgegriffen werden.
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