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Am 1. Oktober 2023 trat das CO₂-Grenzausgleichsystem (Carbon Border Adjustment Mechanism – CBAM) in Kraft. Als Maßnahme zur Begrenzung der Verlagerung von CO₂-Emissionen (Carbon Leakage) ergänzt das Instrument das Europäische Emissionshandelssystem (EU-EHS), indem es einen CO₂-Preis für importierte Waren festlegt, der dem CO₂-Preis für im Inland produzierte Waren entspricht. CBAM führt eine Reihe von Berichts- und Einhaltungspflichten für Importeure von Waren in die Europäische Union ein.
Ein Gastartikel von Simon Göß, Ingenieur, Experte für Energie- und Kohlenstoffmärkte und Geschäftsführer bei carboneer und Hendrik Schuldt, Umweltökonom, Klimapolitikberater und Geschäftsführer bei carboneer.
Warum ist CBAM notwendig?
Der CBAM zielt darauf ab, das Risiko für Carbon Leakage im Rahmen des EU-EHS zu verringern. Carbon Leakage kann auftreten, wenn Klimapolitik die Wettbewerbsfähigkeit inländischer Hersteller gegenüber umweltschädlicheren ausländischen Herstellern einschränkt, die von weniger strengen Vorschriften profitieren. Es besteht dann die Gefahr, dass die Industrie in Länder mit niedrigeren Umweltstandards abwandert. Die Emissionen würden exportiert statt gemindert, und die heimische Wirtschaft verbleibt geschwächt.
Im Rahmen des EU-EHS erhalten Unternehmen, bei denen ein Carbon-Leakage-Risiko besteht, kostenlos Emissionszertifikate in Abhängigkeit von ihrer Emissionsintensität im Verhältnis zu einem sektoralen Benchmark. Auf diese Weise wird der Wettbewerbsnachteil der europäischen Klimapolitik abgemildert. Die Zuteilung kostenloser Zertifikate läuft bis 2034 aus und soll von dem CBAM abgelöst werden.
Was ist der Mechanismus & Anwendungsbereich von CBAM?
CBAM ist während der Übergangsperiode von Oktober 2023 bis Ende 2025 ausschließlich auf Berichtspflichten beschränkt. Importeure oder indirekte Zollvertreter, die CBAM-Waren in die EU einführen, sind verpflichtet, die bei der Herstellung von CBAM-Waren und deren Vorprodukten entstehenden Emissionen (graue Emissionen) zu berechnen und zu melden.
Der Zeitraum der vollständigen Anwendung des CBAM beginnt 2026. Ab diesem Zeitpunkt müssen die Importeure CBAM-Zertifikate erwerben. Der Preis der CBAM-Zertifikate ist an den Preis der Emissionszertifikate im EU-EHS gekoppelt, der derzeit bei etwa 70 Euro pro Tonne CO2-Äquivalent liegt und bis 2030 voraussichtlich zwischen 100 und 150 Euro liegen wird. Jeder CO2-Preis, der bereits in den Herkunftsländern fällig wird, reduziert die Anzahl der abzugebenden CBAM-Zertifikate. Dieser Mechanismus gleicht den CO2-Preis für ausländische und inländische Waren an, die auf dem EU-Markt verkauft werden. Im Vergleich zum System der kostenlosen Zuteilung erhöht CBAM nicht nur die Einnahmen der EU aus dem EU-EHS, sondern schafft auch Anreize für ehrgeizige Emissionspreise und die Dekarbonisierung der Industrie im Ausland.
CBAM deckt derzeit sechs Sektoren ab, auf die etwa 50 % der Emissionen im EU-EHS entfallen: Aluminium, Zement, Elektrizität, Düngemittel, Wasserstoff sowie Eisen & Stahl. Im Eisen- und Stahlsektor werden derzeit 478 KN-Waren (Kombinierte Nomenklatur) einschließlich Produkten aus Edelstahl zu 8 aggregierten Warenkategorien zusammengefasst. Diese weisen ähnliche Produktionswege, Systemgrenzen und Vorläuferstoffe auf (vgl. Abbildung 1 für einen möglichen Produktionsprozess). Hersteller von Produkten müssen demnach sowohl die Emissionen in eigenen Prozessen und in der vorgelagerten Lieferkette bei der Berechnung einbeziehen.
Bis spätestens Ende 2024 wird die EU-Kommission weitere Produkte entlang der Wertschöpfungskette von CBAM-Waren für eine mögliche Aufnahme in die Verordnung identifizieren.
Was sind die CBAM-Verpflichtungen für Importeure?
Um ihre CBAM-Verpflichtungen zu erfüllen, müssen sich Importeure oder indirekte Zollvertreter vor der Einfuhr von CBAM-Waren in die EU als autorisierte CBAM-Anmelder registrieren lassen. Für jedes Kalenderjahr müssen die regulierten Unternehmen die in den Importen enthaltenen Emissionen berechnen und die Ergebnisse in der CBAM-Erklärung bis zum 31. Mai des Folgejahres mitteilen. In diesen Erklärungen können die Importeure auch eine Verringerung der abzugebenden CBAM-Zertifikate beantragen, wenn im Herkunftsland bereits ein Preis auf Emissionen gezahlt wurde. Die in den CBAM-Erklärungen enthaltenen Informationen müssen von unabhängigen Gutachtern verifiziert werden, die im Rahmen der EU-EHS-Verordnung akkreditiert sind. Weiterhin müssen Importeure einen Zugang zum CBAM-Register einrichten. Auf dieser Plattform werden die Daten über die grauen Emissionen an die Behörden übermittelt und CBAM-Zertifikate gekauft und eingereicht.
In der Übergangszeit müssen keine CBAM-Zertifikate gekauft werden. Erst mit der vollständigen Anwendung von CBAM im Jahr 2026 müssen die Importeure CBAM-Zertifikate abgeben. Die Anzahl der abzugebenden CBAM-Zertifikate steigt proportional zum Auslaufen der kostenlosen Zuteilungen im EU-EHS: 2026 müssen regulierte Unternehmen CBAM-Zertifikate für 2,5 % ihrer grauen Emissionen abgeben. Dieser Anteil erhöht sich jährlich, bis er im Jahr 2034 100 % erreicht.
Wie werden graue Emissionen berechnet?
Generell müssen die CBAM-Anmelder sowohl die direkten Emissionen aus dem Produktionsprozess als auch die indirekten Emissionen aus der Erzeugung der im Produktionsprozess verwendeten Energie berücksichtigen und die Emissionen nach den Regeln im EU-EHS berechnen. Für die tatsächliche Berechnung der direkten Emissionen benötigen CBAM-Anmelder daher Primärdaten von ihren Lieferanten.
Wenn die CBAM-Anmelder nicht über die erforderlichen Daten zur Durchführung der Berechnungen verfügen, können sie auf Standardwerte zurückgreifen, die als Emissionsfaktoren verwendet werden. Globale Standardwerte wurden Ende 2023 von der EU-
Kommission veröffentlicht. Allerdings können diese nur unter bestimmten Umständen verwendet werden und werden in vielen Fällen höher sein als die tatsächlichen Werte, um die Bereitstellung von echten Emissionsdaten zu fördern.
Die EU hat bereits eine erste Studie veröffentlicht, die die Unterschiede in den Emissionsintensitäten zwischen der EU und ihren Handelspartnern für CBAM-Waren aufzeigt (vergleiche die Emissionsdaten zu Profilen aus Edelstahl in Abbildung 2).
Welche Regeln gelten während des Übergangszeitraums?
Die EU ist sich der Herausforderungen für Unternehmen bewusst, und führt den Mechanismus schrittweise mit einer Übergangsperiode vom 1. Oktober 2023 bis zum 31. Dezember 2025 ein. Die Übergangszeit soll allen Beteiligten, einschließlich Importeuren, Herstellern und Behörden, als Test- und Lernphase dienen. Die CBAM-Verpflichtungen beschränken sich während des Übergangszeitraums auf die Berichterstattung (Abbildung 3).
Importeure oder indirekter Vertreter müssen anstelle von jährlichen CBAM-Erklärungen vierteljährliche CBAM-Berichte einreichen. Der erste Bericht, der die grauen Emissionen aus Q4 2023 abdeckt, musste bis zum 31. Januar 2024 eingereicht werden, der Bericht für Q1 2024 bis zum 30. April 2024. Die Anforderungen an die Berechnung und die allgemeine Berichterstattung sind in der Übergangsphase gelockert und es stehen zwei weitere Methoden zur Verfügung:
- Bis zum 31. Dezember 2024 können graue Emissionen über nationale Systeme von Drittländern ermittelt werden, wie z. B. Emissionsbepreisungs- oder Überwachungssysteme.
- Bis zum 31. Juli 2024 können graue Emissionen auch ausschließlich anhand von Standardwerten aus der EU oder anderen Ländern ermittelt werden, wenn die Berechnungsmethoden übereinstimmen.
Für Importe ab dem 1. Juli 2024 müssen tatsächliche Emissionsdaten von den Herstellern, Lieferanten oder Händlern der importierten Waren verfügbar sein.
Strafen können von den nationalen zuständigen Behörden verhängt werden, wenn der CBAM-Anmelder keinen korrekten oder vollständigen CBAM-Bericht einreicht oder Fehler nicht korrigiert wurden. Die Strafen reichen von 10 EUR bis zu 50 EUR pro Tonne nicht gemeldeter Emissionen.
Welche unmittelbaren Aufgaben ergeben sich für Unternehmen?
In weniger als zwei Jahren beginnt die vollständige Anwendung von CBAM und Unternehmen sollten sich schon jetzt vorbereiten und alle rechtlichen Verpflichtungen der Übergangsphase erfüllen. In der Zusammenarbeit mit vielen betroffenen Unternehmen zu CBAM in den vergangenen Monaten haben wir die folgenden unmittelbaren Aufgaben herausgearbeitet:
- Ermitteln Sie, welche Ihrer Importe den CBAM-Vorschriften unterliegen. Setzen Sie sich mit Lieferanten, Herstellern und Abnehmern in Verbindung, um Emissionsdaten für importierte Waren zu sammeln. Sammeln Sie Informationen über Emissionsbepreisung in den Ursprungsländern Ihrer CBAM-Waren.
- Lassen Sie sich als CBAM-Anmelder registrieren oder lassen Sie Ihren indirekten Zollvertreter registrieren.
- Erhalten Sie Zugang zum CBAM-Übergangsregister. Dies ist die Schnittstelle für Regulierungsbehörden und regulierte Unternehmen während der Übergangszeit.
- Lernen Sie den Umgang mit der von der EU veröffentlichten CBAM-Meldevorlage.
- Einrichtung von Prozessen zur Sammlung von Emissionsdaten und Bereitstellung von Personalkapazitäten für die Bearbeitung von CBAM-Aufgaben.
- Nutzen Sie die Preisprognose für die EU-Emissionsrechte und die Prognosen zu grauen Emissionen, um die mittelfristigen wirtschaftlichen Auswirkungen der CBAM-Vorschriften auf Ihre Lieferkette und Ihr Unternehmen zu beurteilen.
- Verstehen Sie die Auswirkungen von CBAM auf Ihre Lieferkette und bewerten Sie Ihr Preis- und Regulierungsrisiko in verschiedenen Ländern.
Mit der Einführung von CBAM spielt die Emissionsüberwachung und -berichterstattung zusammen mit der Bepreisung von Emissionen eine immer wichtigere Rolle für Nicht-EU-Produzenten und Importeure. Die Verpflichtungen zur Emissionsberichterstattung während des Übergangszeitraums von CBAM sind für viele Unternehmen neu erfordern eine umfassende Vorbereitung. Die Vorschriften zu CBAM werden in den kommenden Jahren weiterentwickelt und sollten von Erzeugern aus Drittländern und der EU sowie von Händlern und Importeuren gleichermaßen genau beobachtet werden. Letztlich benötigen Unternehmen einen strategischen Ansatz für diese neue Realität des globalen Handels und der Dekarbonisierung.
Quelle: Vidovic, D., Marmier, A., Zore, L. and Moya, J., Greenhouse gas emission intensities of the steel, fertilisers, aluminium and cement industries in the EU and its main trading partners, Publications Office of the European Union, Luxembourg, 2023, doi:10.2760/359533, JRC134682.
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