Nach und nach versiegen die leicht zugänglichen Ölfelder im Meer. Um den wertvollen Rohstoff durch neue Förderquellen zu erschließen, muss tiefer gebohrt werden – eine technische Herausforderung. Daher sind oftmals schwimmende neben den fest installierten Plattformen im Einsatz. Statt starrer Stahlpipelines werden laut dem Unternehmen Evonik flexible Leitungen verlegt. Diese müssten von außen vor der Korrosion durch Meerwasser und von innen vor Schäden durch Öl, Gas und Wasser geschützt sein. „Und je tiefer es geht, desto mehr spielt auch ein möglichst geringes Gewicht eine Rolle“, so Evonik.

Stahl und Kunststoff
Entsprechend geeignete Rohre wurden beispielsweise auf zwölf Kilometern Länge vor der schottischen Küste abgewickelt und verlegt. Von einer schwimmenden Plattform wird durch die Pipelines Öl aus dem Meeresboden gefördert.

„Die beweglichen Rohre haben eine Hülle von mindestens sechs Zentimetern Dicke“, erläutert Evonik. Sie besteht aus mindestens acht Schichten. Zum Teil aus Stahl, zum Teil aus dem Polyamid VESTAMID® NRG. Die Stahlschichten dienen wesentlich zur Verstärkung. Der Kunststoff sorgt dagegen dafür, dass die Rohre dicht sind. „Ihm können weder das Salzwasser noch die im Öl enthaltenen chemischen Verbindungen etwas anhaben.“ So hält eine innere Schicht aus VESTAMID® NRG das Erdöl sicher in den bis zu 350 Millimeter dicken Pipelines. Von außen schützt eine weitere Schicht des Kunststoffs den Stahl vor Rost durch Meerwasser. „Rohre mit VESTAMID® NRG liegen nicht nur in der Nordsee, sondern zum Beispiel auch vor der brasilianischen Küste, vor Westafrika und Australien.“

Butting, Rohre

Rohre werden leichter
Wird tiefer gefördert, ist zunehmend das Gewicht der Pipelines zu beachten. Für die Förderung in extremen Tiefen ab 2.500 Metern hat Evonik mit dem Pipelinehersteller Airborne aus den Niederlanden ein Composite-Rohr mit geringem Gewicht entwickelt. Es besteht komplett aus VESTAMID® NRG und wird mit Glasfaser verstärkt. So möchte beispielsweise der malaysische Mineralölkonzern Petronas die Offshore-Rohre ganz ohne Stahl verlegen.

Die weltweite Förderung von Öl und Gas auf hoher See verlangt innovative und komplexe Rohrlösungen aus hochwertigen Werkstoffen. Ein Kurs, auf den sich auch das Schoeller Werk seit einigen Jahren ausgerichtet hat. Speziell für den Einsatz in einer Tiefe von 10.000 Metern unter dem Meeresspiegel bietet das Unternehmen hochbelastbare Control-Line- und Chemical-Injection-Rohre aus Edelstahl und Nickelbasislegierungen. Sie pumpen Chemikalien in das Ölreservoir und dienen als hydraulische Steuerleitungen für Sicherheitsventile. „Durch ihre hohe Oberflächengüte und die besondere Schweißnahtqualität halten die Rohre den extremen Bedingungen stand, die durch hohen Druck, Temperaturen von bis zu 300 Grad Celsius, aggressiven Medien und Salzwasser verursacht werden“, sagt Markus Zimmermann, Leiter Vertrieb- Energie beim Schoeller Werk. „Anwender profitieren von einer überdurchschnittlich langlebigen und sicheren Installation.“ Abgerundet werde das Portfolio für Kunden aus der Offshore-Industrie durch ein breites Serviceangebot, wie etwa die Einkapselung oder das Flushen und Füllen der Rohre.

Hochleistungswerkstoffe gefragt
Das Schoeller Werk hat einen Trend ausgemacht: Die wichtigsten Anforderungen an Rohre für die Offshore-Industrie sind Formstabilität und Korrosionsbeständigkeit. „Unsere Kunden entscheiden sich daher häufig für Hochleistungswerkstoffe wie zum Beispiel Alloys“, so Markus Zimmermann.

Nicht nur die Effizienz steht bei Öl- und Gasförderung sowie -transport im Fokus. Die bereits hohen Sicherheitsstandards gilt es noch weiter zu entwickeln. „Wir als Rohrproduzenten liefern einen Großteil unserer Stahlrohre in die Öl- und Gasindustrie und haben einen wichtigen Anteil an der permanenten Risikominimierung dieser Branche“, berichtet Dr. Dirk Bissel, Vice President Sales Europe/Africa beim Stahlrohrproduzenten Vallourec. Arbeitssicherheit und Umweltschutz sind schon immer zentrale Themen der Öl- und Gasindustrie und damit auch für die Stahlrohrindustrie als Zulieferer von allerhöchster Priorität. „Die höchstmögliche Sicherheit ist für alle Beteiligten zu gewährleisten.“ Es gelte laut Bissel, „auch unter dem aktuellen Kostendruck die Priorität der Branche ‚Sicherheit zu jedem Zeitpunkt und an jedem Ort‘ nicht aus den Augen zu verlieren.“ Aus Umweltschutzgründen würde Vallourec inzwischen Rohrverbindungen anbieten, die ohne Schmierstoffe auskommen (Cleanwell).

Konkurrenz durch Fracking
Und hohen Druck erlebt die Öl- und Gasbranche nicht nur zunehmend bei größerer Tiefe in ihren Rohrleitungen. Die Bedarfssituation hat sich deutlich weniger positiv entwickelt, als dies erwartet wurde. „Zusätzlich sind durch die Erwartungen im Mittleren Osten herbeigeführt durch den Arabischen Frühling sehr viele Projekte initiiert worden, die zu einem Überangebot an Kapazitäten geführt haben“, erläutert Dr. Dirk Bissel. Zudem sei die Produktivitätssteigerung und damit die Wettbewerbsfähigkeit der Shale-Aktivitäten in den USA deutlich unterschätzt worden.

Das sogenannte Fracking, die Öl- und Gasförderung aus Schieferstein, konkurriert aktuell stark mit der klassischen Ölförderung und erhöht die weltweit gehandelte Menge an Öl, betont auch Markus Zimmermann vom Schoeller Werk. Beschlüsse der OPEC zur Stabilisierung des Ölpreises und zur Reduzierung der Fördermengen hätten daher eine deutlich geringere Tragkraft.

2018 wieder mehr Aufträge erwartet
Die Offshore-Branche hat sich in den vergangenen Jahren sehr volatil gezeigt. „Wegen des aktuell stark gefallenen Ölpreises sind die Umsätze hier zuletzt rückläufig gewesen“, sagt Zimmermann. Energieunternehmen hätten daher weniger Aufträge vergeben. Aber es gibt womöglich eine Trendwende. „Wir rechnen in den kommenden Jahren mit einer leichten Erholung, so dass wir ähnlich wie andere Zulieferer der Offshore-Branche für das Jahr 2018 wieder mehr Aufträge erwarten.“

Auch auf der norwegischen Energiebranche lastet hoher Druck. Das Land Norwegen ist vor allem für seine große Öl- und Gasindustrie bekannt, die jährlich etwa 20 Prozent zur Wirtschaftsleistung des Landes beiträgt. Nun gilt es für das skandinavische Land, seine Position auf dem Ölmarkt für die nächsten 30 Jahre zu sichern.

Produktionsstart Ende 2019
Die Voraussetzungen sind jedenfalls gegeben: Vor der Küste Norwegens liegen enorme Öl- und Gasvorkommen. Eines davon ist das Johan Sverdrup Ölfeld, das mit geschätzten 1,7 bis 3,0 Milliarden Barrel Gesamtvolumen zu den größten Ölfunden Norwegens gehört. Die Ölblase befindet sich 120 Meter unterhalb des Wasserspiegels und ist 1.900 Meter tief. Das gesamte Areal umfasst ungefähr 200 Quadratkilometer.

In einer ersten Entwicklungsphase werden umgerechnet rund zwölf Milliarden Euro investiert. Dazu gehört neben der Anlage von Bohrlöchern und der Installation von Förderleitungen insbesondere die Errichtung vier fest installierter Plattformen. „Diese teilen sich auf in eine Processing Platform, eine Riser Platform, eine Drilling Platform sowie eine Living Quarters Platform und werden durch 80 bis 100 Meter lange Brücken miteinander verbunden“, erläutert das Unternehmen Butting. In den weiteren Phasen kommen zwei Plattformen hinzu. Nach dem erwarteten Produktionsstart Ende 2019 plant Norwegen eine Ölförderung aus diesem Feld bis 2050. Via Pipeline sollen ca. 550.000 Barrel Öl am Tag zum Mongstad Terminal in Hordaland transportiert werden.

Bohrinsel, Wintershall

Über 1.400 Tonnen Gesamtgewicht
Butting erhielt den Auftrag zur Fertigung von längsnahtgeschweißten korrosionsbeständigen Rohren für alle vier Plattformen sowie für die Verbindungsbrücken. „Die Anforderungen an die Materialien auf hoher See sind aufgrund der extremen Beanspruchung durch die salzhaltige Luft sehr hoch. Für die Rohre wurden daher die Werkstoffe 6 Moly, 316L, Duplex und Superduplex eingesetzt“, erläutert Christian Schenk, Verkauf CRA Pipes. Die von Butting gefertigten und gelieferten Abmessungen reichten dabei von OD 2“ bis 30“ in den Längen von 6 bis 12 Meter. Insgesamt lieferte das Unternehmen für das Johan Sverdrup Ölfeld Rohre mit einem Gesamtgewicht von über 1.400 Tonnen.

Der Energietransport ist fast im gesamten Europa im Fokus. Zum Beispiel bei der Trans-Adria-Pipeline (TAP) als Teil des südlichen Gaskorridors, der West- und Südosteuropa ab 2020 mit Gas aus Aserbaidschan versorgen soll. Sie schließt an die Transanatolische Pipeline (TANAP) an, durchquert Griechenland, Albanien und die Adria, reicht bis nach Italien und überbrückt dabei eine Strecke von rund 870 Kilometern.

Engineering Supports und Trainings
Fast ein Drittel der TAP-Leitung lieferte der Salzgitter-Konzern über seine internationale Handelsorganisation. Dazu gehörten 270 Kilometer Großrohre des Joint-Ventures EUROPIPE und 1.559 Rohrbögen des Rohrbiegewerks in Mülheim mit einer Gesamttonnage von rund 170.000 Tonnen für den Onshore-Bereich in Albanien. Mehr als 71.000 Tonnen Großrohre sind für den 105 Kilometer langen Offshore-Teil der Pipeline von der albanischen Küste nach Italien bestimmt. Ein Großauftrag erster Güte.

Was sind die gegenwärtigen Erwartungen an die Zulieferer der Öl- und Gasbranche? Verstärkt nachgefragt werden laut Vallourec immer mehr Leistungen, die im Umfeld des Rohres angesiedelt sind. Dies sind insbesondere technische Beratungen sowie anwendungsorientierte Schulungen. Angefangen mit Vorträgen für die Bohringenieure bis hin zu Trainings von kompletten Rig Crews. Auch dem Lifetime Management kommt eine wachsende Bedeutung zu. Ziel sei es, „die Kostenoptimierungsziele unserer Kunden maximal zu unterstützen, und zwar durch das Bereitstellen effizientester technischer Systeme: Der Kunde betrachtet die Komplettkosten einer Investition, dazu gehören die laufenden Kosten genauso wie anfallende Reparatur- und Wartungsarbeiten. Wir sprechen von den “, betont Dr. Dirk Bissel von Vallourec.

Service entlang des Gesamtzyklus
Erwartet werden in allen Produktbereichen des Nahtlosrohrherstellers – OCTG, Line Pipes, Drill Pipes und Serimax Welding Services – umfassende Lösungen für einfache Aufgabenstellungen bis hin zu High-End Lösungen für komplizierte Operationen in Öl- und Gasfeldern.

Serviceleistungen begleiten oftmals den gesamten Lebenszyklus eines Produktes und Projektes. Die technische Unterstützung setzt bereits in einer sehr frühen Projektphase ein, „um den Kunden bei der Auswahl der effizientesten Technologie beratend zu unterstützen“, erläutert Bissel. Zum Beispiel liefert Vallourec als Rohrhersteller mit Cleverscan ein System, dass das Verschweißen von Rohrenden optimiert. Eine Leistung, die weit über die Produktion von nahtlosen Rohren hinausgeht.

Realistischere Bedarfsvorhersagen
Auch wenn es positive Hinweise für die Entwicklung der Öl-und Gas-Branche und damit auch positive Auswirkungen auf die Stahlrohrbranche in 2018 gibt, sieht Dr. Dirk Bissel von Vallourec „Unsicherheiten in der Bedarfsprognose“. Sie hänge von der Entwicklung der Wirtschaftsaktivitäten der BRIC-Staaten, aber auch Europas und Amerikas ab. Der Bedarf sei jedenfalls vorhanden, neue Projekte würden weltweit initiiert.

Dennoch: „Projekte werden kritischer bezüglich ihrer nachhaltigen Wirtschaftlichkeit hinterfragt und positive Entscheidungen werden auf sehr viel realistischeren Bedarfsvorhersagen sowie Preisentwicklungen beruhen“, bilanziert Bissel. Ein Nachfrageboom sei mittelfristig sicher nicht zu erwarten, „aber die Marktsituation wird sich auf einem gesunden Niveau stabilisieren“, da Öl und Gas als Energieträger für eine sehr lange Zeit unverzichtbar sein würden.

Zukunftsfragen
Trotzdem wirft die Zukunft Fragen auf. „Auch uns stellt sich die Frage, wie das Verhältnis fossiler Energieträger und erneuerbarer Energien künftig gestaltet sein wird“, sagt Markus Zimmermann, Leiter Vertrieb- Energie des Schoeller Werks. Maßgebliche Faktoren seien hier unter anderem neue Entwicklungen und politische Entscheidungen.

Doch auch weitere Geschäftsfelder tun sich neben der klassischen Öl- und Gasförderung auf. Aus Sicht von Vallourec besonders für Europa interessant sind beispielsweise Lösungen, die für Geothermie eingesetzt werden – auch eine Branche mit Tiefgang und mit Zukunftschancen. Die Öl- und Gasbranche wird weiterhin zeigen, dass sie mit Druck umgehen kann.

Vorheriger ArtikelUddeholm erneuert Gasreinigungsanlage
Nächster ArtikelBASF stärkt eigene Oberflächentechnik in China
Catrin Senger
Catrin ist Redakteurin bei Edelstahl Aktuell. Stahl zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Berufsleben. Sie hat eine Ausbildung bei einem Großhändler für Rohr- und Rohrzubehör absolviert und in verschiedenen Funktionen bei einem Hersteller und Lieferanten von Analysegeräten für die Metallindustrie gearbeitet.