Derougen und Repassivieren

Fotos: HENKEL Beiz- und Elektropoliertechnik

 

Anlagen in der pharmazeutischen und biotechnologischen Industrie wie Rohrleitungssysteme für Reinstwasser z.B. WFI (Water for Injection) Destillen, Lagertanks, Reindampfsysteme etc. bestehen in der Regel aus austenitischen Edelstählen, wie etwa 1.4435/316L oder 1.4539/904L.

Nach durchwegs kurzen Betriebszeiten zeigen die Innenoberflächen dieser oftmals heiß betriebenen Anlagensysteme rotbraune Oberflächenkontaminationen. Hierbei handelt es sich meist um Schwermetallpartikel, die aus einer Veränderung der Edelstahl-Oberfläche resultieren, das sogenannte Rouging. Grund dafür ist, dass Reinstwasser in WFI-Qualität unter anderem die Eigenschaft hat, sich gegenüber Edelstahloberflächen von Rohrleitungen und Behältern sehr aggressiv zu verhalten. Dies umso mehr, falls es sich um entgaste, erwärmte Reinstwasserqualitäten handelt oder gar um die Erzeugung und Leitungsführung von Reindampf.

Nachgeschaltete Produktionssysteme wie Fermenter, Ansatz- und Mischbehälter samt ihren Verrohrungssystemen werden durch Verschleppung der Rougepartikel kontaminiert. Selbst durch eine regelmäßige herkömmliche CIP-Reinigung (Cleaning-In-Place) dieser Systeme sind die Rougebeläge nicht nachhaltig abreinigbar.

Derouging nach Maß

Optimierte Reinigungsverfahren in Verbindung mit aktivem Rougemonitoring lassen Verhältnisse erreichen, die einer faktischen Rougevermeidung entsprechen. Die HENKEL Beiz- und Elektropoliertechnik GmbH & Co KG aus Neustadt-Glewe bietet die Durchführung von Derougingoperationen durch speziell für den GMP-relevanten Bereich geschulten Vor-Ort-Teams.

Zum Einsatz kommen nach eigenen Angaben ausschließlich modernste Ausrüstungs- und Sicherheitstechniken. Die Reinigungschemikalien seien speziell für den Einsatz an sensiblen Pharmaanlagen entwickelt. Sämtliche Arbeiten werden umfassend dokumentiert und gebrauchte Chemikalienlösungen umwelt- und fachgerecht mit Nachweis aufbereitet.

Pharmabehälter vor und nach der Derougingbehandlung von HENKEL.

HENKEL bietet die drei Derougingverfahren sauer (pH < 1), bio (pH-neutral) und elektrochemisch an. Das Bioderougen und das elektrochemische Derouging werden im Folgenden kurz vorgestellt.

Bioderougen

Die Bioderouginglösungen von HENKEL sind laut Unternehmensinformation wässrige organische Lösungen in einem pH-neutralen Bereich. Je nach Art und Intensität des vorliegenden Rougebelags werden die pH-neutralen Lösungen bei Raumtemperatur bis 90°C über einen Zeitraum von ein bis vier Stunden angewendet.

In der Praxis bedeutet das, dass die Lösung in die zu derougenden Behälter beziehungsweise Rohrleitungssysteme gefüllt und bei entsprechender Temperatur zirkuliert wird. Die Einleitung in eine kundenseitige Kläranlage sei nach Rücksprache mit dem Einleitungsverantwortlichen ohne weitere Vorbehandlung möglich.

Elektrochemisches Derouging

Zur Beseitigung von Rougebelägen können die Oberflächen neben dem chemischen derougen (bio) auch anodisch beziehungsweise elektrochemisch gereinigt werden. Beide Verfahren sind effektiv, unterscheiden sich jedoch hinsichtlich Bearbeitungsaufwand und Endergebnis. Mit den elektrochemischen Verfahren lassen sich auch mechanische Beschädigungen (Kratzer) entfernen.

Die elektrochemische Bearbeitung verbessert in der Regel die Oberfläche erheblich, da hier nicht nur die Rougebeläge, sondern auch Material im Mikrometerbereich von der Oberfläche (3-15 µm) abgetragen werden. Das führt zu einer sogenannten Mikroglättung der Oberfläche, die unter anderem eine stark verminderte Belagsneigung mit sich bringt. Ein weiterer Vorteil ist der wesentlich geringere Chemikalieneinsatz.

Das elektrochemische Derougen ist bei nahezu sämtlichen Behältergrößen und Sterilkammern anwendbar. Lediglich Rohrleistungsysteme können mit diesem Verfahren vor Ort nicht bearbeitet werden.

Passivierung

Die Korrosionsbeständigkeit von Edelstahl beruht auf der Ausbildung einer sehr dünnen chromoxidreichen Passivschicht (2-3 Nanometer), die sich nur an metallisch reinen Edelstahloberflächen ausbildet. Thermische, chemische oder mechanische Bearbeitungen beeinträchtigen die Bildung der Passivschicht.

Daher ist eine Passivierung der Edelstahloberfläche nach jedweder chemischen Oberflächenbehandlung wie etwa Derougen als finaler Bearbeitungsschritt laut HENKEL unbedingt empfehlenswert.

Durch die Passivierungslösung wird die Edelstahloberfläche bei der Erneuerung der Chromoxidschicht durch Zugabe von Sauerstoff unterstützt. Abweichend zur natürlichen Passivierung bei Luftsauerstoff sei der Schichtaufbau bei der nasschemischen Passivierung homogener. Zusätzlich sei die nasschemische Passivierung ein kontrollierter, reproduzierbarer Prozess, da der Schichtaufbau mit Luftsauerstoff stark von den Umgebungsbedingungen abhängt.

HENKEL bietet neben der Standard-Passivierlösung auf Salpetersäurebasis auch eine Biopassivierung auf Zitronensäurebasis an.

Für weitergehende Informationen hat HENKEL auf der Unternehmenswebseite ein Whitepaper zum Thema „Edelstahloberflächen im Bereich von WFI-Leitungen und Apparaten“ veröffentlicht.

Catrin Senger
Catrin ist Redakteurin bei Edelstahl Aktuell. Stahl zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Berufsleben. Sie hat eine Ausbildung bei einem Großhändler für Rohr- und Rohrzubehör absolviert und in verschiedenen Funktionen bei einem Hersteller und Lieferanten von Analysegeräten für die Metallindustrie gearbeitet.

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Catrin Senger
Catrin ist Redakteurin bei Edelstahl Aktuell. Stahl zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Berufsleben. Sie hat eine Ausbildung bei einem Großhändler für Rohr- und Rohrzubehör absolviert und in verschiedenen Funktionen bei einem Hersteller und Lieferanten von Analysegeräten für die Metallindustrie gearbeitet.