Wo kommt nur der Strom her?
Während sich der umweltbewusste Verbraucher fragt: „Kohlegrill oder Elektrogrill?“, stellt sich die Stahlbranche die Frage: „Hochofen oder Elektrolichtbogenofen?“ Denken andere stahlproduzierende Unternehmen noch über den Schwenk auf die Stahlproduktion mittels Elektrolichtbogenofen und die damit verbundene Investitionssumme eines rund dreistelligen Millionenbetrags nach, treiben den Vorreiter der Green Steel Bewegung ganz andere Herausforderungen um:
Edelstahl Aktuell im Gespräch mit Dr. Alexander Becker, CEO von Georgsmarienhütte, und Julian Kröger, Director Strategy and Communications.
Die Georgsmarienhütte im gleichnamigen Ort bei Osnabrück: keine rauchenden Schlote, kein Qualm, kein Dreck. Stattdessen wird das Werksgelände von viel Grün umrahmt. Hier wird Stahl produziert? Ja, auf besonders emissionsarme Art und Weise. Und zwar so nachhaltig, dass die GMH Gruppe von der Klimaschutz- und Energieeffizienzgruppe der Deutschen Wirtschaft e.V. für herausragende Klimaschutz- und Energieeffizienzleistungen ausgezeichnet, in den Verein der Klimaschutz-Unternehmen aufgenommen wurde und sich als das klimafreundlichste Stahlunternehmen Deutschlands bezeichnet.
Bereits vor mehr als 25 Jahren war Jürgen Großmann so visionär, dass er nach der Übernahme des Unternehmens von Klöckner den Hochofen in Georgsmarienhütte abreißen und einen Elektrolichtbogenofen aufbauen ließ. Weitere gezielte Zukäufe von Elektrostahlwerken folgten kurz darauf am Standort Bous im Saarland und im sächsischen Gröditz.
Kreislaufwirtschaft
Für die CO2-arme Stahlfertigung des Green Steels der GMH Gruppe kommt als Rohstoff zu 100 Prozent Schrott zum Einsatz. Dieser stammt zum großen Teil von den GMH eigenen Recyclingunternehmen. Denn die GMH Gruppe verfolgt den Weg der Circular Economy konsequent: Vom Schrottrecycling über die Stahlerzeugung, den Guss und das Schmieden kommt bis hin zur einbaufertigen Komponente alles aus einer Hand.
Schrott ist ein wertvolles Gut. Alexander Becker erklärt: „Jedes Mal, wenn Stahl einer neuen Verwendung zugeführt wird, verbessert sich seine Umweltbilanz.“ Daher verwertet das Unternehmen selbst Rücklaufschrotte wie Späne und Sägeabschnitte. Geht es nach der GMH Gruppe, so sollten die Schrottmärkte lokal bleiben. Der Schrott sollte aus einem Umkreis von maximal 500 Kilometern bezogen werden, idealerweise sogar nur in einem Radius von 100 bis 200 Kilometern. Von Schrottexporten hält Alexander Becker nichts. „Wir haben die für uns relevanten Schrottgüten hier vor Ort.“ Eine Herausforderung sei eher, den richtigen Schrott zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ofen zu haben.
Sogar die Schlacke vermarktet das Unternehmen selbst und nimmt auch so seine soziale Verantwortung wahr. „Wir möchten wissen, wo unsere Schlacke landet“, so Becker. „Nicht beim Hausbau, nicht in Deponien, aber als Schutt für den Straßenbau.“
Das Unternehmen zeigt sich überzeugt, dass klimaneutral produzierter Stahl mit seinem E-Ofen bis 2039 realistisch machbar sei, bei einer vollständigen Verfügbarkeit von grünem Strom.
CO2-Fußabdruck
Rund 800.000 Tonnen CO2 emittiert die GMH Gruppe im Jahr. Diese lassen sich wie folgt aufteilen: 480.000 Tonnen CO2 produziert das Unternehmen aufgrund der Nutzung von grauem Strom. Die Alternative auf dem Weg zur CO2-Reduktion heißt für das Unternehmen ganz klar Grüner Strom. 110.000 Tonnen CO2 fallen durch die Nutzung von Koks und Kohle an. Reduktionspotential bietet der Einsatz von biogener Kohle, heißt Koks und Kohle werden ersetzt durch komprimierte Äste und Blätter, oder auch Orangen- und Bananenschalen. Außerdem soll noch ein letzter mit Kokskohle befeuerter Gießereiofen auf elektrische Energie umgestellt werden. 210.000 Tonnen CO2 werden derzeit noch aufgrund der Nutzung von Erdgas ausgestoßen und könnten langfristig durch den Einsatz von grünem Wasserstoff wegfallen.
Auf dem Weg zur Klimaneutralität
Der Fokus auf dem Weg zur Klimaneutralität liegt für die GMH Gruppe ganz klar auf dem größten CO2-Emittenten: dem grauen Strom. Hier lässt sich der größte Hebel ansetzen, der allerdings aus vielen Einzelteilen besteht: Neben dem begonnenen Umstieg von fossilen auf regenerative Energieträger, beinhaltet der Hebel eine effizientere Nutzung beispielsweise der Abwärme sowie die Teilnahme an öffentlich geförderten Projekten wie OptiLBO, das eine CO2-ärmere Stahlerschmelzung erforscht.
Früh erkannte das Unternehmen, dass eine Selbstversorgung die Unabhängigkeit von der Marktvolatilität im Energie- und Stromsektor steigert. Photovoltaikanlagen werden auf Dächern und Freiflächen installiert, wie zuletzt in Judenburg und Rheine. 25 Gigawatt Strom plant die GMH Gruppe durch Solarpanels zu produzieren. Windkraftanlagen in direkter Nähe zum Werksgelände befinden sich an verschiedenen Standorten in Prüfung.
Im Frühsommer unterzeichnete die GMH Gruppe eine Vereinbarung über den Bezug von Herkunftsnachweisen für Grünstrom aus deutscher Offshore-Windenergie mit dem Energiedienstleister EWE. Der Stromliefervertrag ermöglicht es den Stahlwerken, Walzwerken und Gießereien der GMH Gruppe, ab Januar 2023 30 Prozent ihres Strombedarfs aus zertifizierten Grünstromquellen zu beziehen und diese Nachweise auch an die Endkunden weiterzureichen.
OptiLBO
Im vergangenen Jahr startete die GMH Gruppe mit den Forschungspartnern Gas- und Wärme-Institut Essen, Kueppers Solutions und Küttner Automation das Projekt OptiLBO, dass den Herstellungsprozess im Elektrolichtbogenofen des Stahlwerks Bous im Saarland betrachtet und vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz gefördert wird.
Ein innovatives Brennersystem und eine KI-basierte Steuerung sollen dazu beitragen, die Energieeffizienz zu optimieren. Der Erdgaseinsatz soll um bis zu 20 Prozent verringert werden. Mithilfe der verbesserten Technologie ließen sich dann in einem Jahr rund fünf Gigawattstunden Energie und fast 900 Tonnen CO2 einsparen, wie die Forschenden berechnet haben.
Zudem soll in OptiLBO untersucht werden, Wasserstoff als Brenngas einzusetzen und damit Erdgas weitestgehend zu ersetzen.
Nicht genug für ein Unternehmen, das pro Jahr etwa 1,0 Terrawattstunde Strom verbraucht. 1,0 Terrawattstunden– das sind grob überschlagen etwa 70 Windräder, die allein die GMH Gruppe benötigen würde, um ihren Strombedarf vollständig aus erneuerbaren Energien zu decken. Eine große Herausforderung.
Becker fragt herausfordernd: „Soll auf grünen Strom gewartet werden oder bereiten wir uns vor?“ und plädiert dafür, die Bundesregierung beim Ausbau der erneuerbaren Energien zu unterstützen. Denn nur gemeinsam sei die langfristige Wettbewerbsfähigkeit der Stahlbranche in Deutschland zu erhalten.