Im Hafen von Amsterdam plant Gidara die erste Produktionsanlage für fortschrittliches Methanol aus nicht verwertbarem Abfall: Advanced Methanol Amsterdam (AMA). Im Jahr 2023 soll die Anlage laut dem Unternehmen betriebsbereit sein. Das hier produzierte Advanced Methanol soll sowohl die europäischen Vorgaben für Biokraftstoffe (RED II, Juni 2021) als auch die lokalen, also niederländischen, Gesetzesvorgaben erfüllen. Die erwartete jährliche Produktionsleistung von AMA liege bei durchschnittlich 87.500 Tonnen fortschrittlichem Methanol, umgerechnet seien dies die jährlichen Abfälle von rund 290.000 Haushalten, die ansonsten auf der Deponie oder in einer Müllverbrennungsanlage enden würden.

Das Unternehmen gab nun bekannt, Partner für sämtliche Schritte der Wertschöpfungskette gefunden zu haben: vom Pelletieren des Restmülls über den Transport des überschüssigen CO2 aus der Umwandlung der Pellets in Syngas zu niederländischen Gewächshäusern bis hin zur Umwandlung von Syngas in Advanced Methanol und dessen Beimischung zu Benzin.

Vom Restmüll zu Biokraftstoff

Restmüll pelletieren

Das in Amsterdam ansässige Abfallbehandlungsunternehmen PARO werde gemeinsam mit AMA den nicht-recycelbaren Abfall pelletieren, der in der Anlage als Einsatzmaterial verwendet werden soll. Das pelletierte Einsatzmaterial (PFM) werde mithilfe der patentierten HTW® -Technologie (Hochtemperatur-Winkler-Verfahren) von GIDARA Energy in Syngas umgewandelt, das dann wiederum in Advanced Methanol umgewandelt werde.

Hochtemperatur-Winkler-Verfahren

Die HTW®-Technologie ist eine der am weitesten entwickelten Vergasungstechnologien. Ursprünglich wurde sie 1926 von der Rheinbraun AG (heute RWE) unter Verwendung von Braunkohle entwickelt, um ein Reduktionsgas für Eisenerz zu erzeugen. Im Jahr 2010 erwarb ThyssenKrupp Uhde (heute thyssenkrupp Industrial Solutions) die HTW®-Technologie von RWE. Im Laufe der Jahre wurde sie verbessert und optimiert, um unter anderem den Kohlenstoffumsatz zu erhöhen, die Qualität des erzeugten Syngases zu steigern und die Verarbeitung einer breiten Palette an Rohstoffen zu ermöglichen, zum Beispiel Holz, Klärschlamm, Siedlungsabfälle und Ersatzbrennstoffe. Die Gesamtinvestition seit 1970 übersteigt 500 Millionen Euro.

Der HTW-Vergaser ist ein sprudelnder Wirbelschichtreaktor, der entweder im Luft- oder Sauerstoffeinblasmodus arbeitet. Im Wesentlichen besteht das HTW-System aus einem Vergaser und einem Zyklon mit Schwerkraftrücklauf, der für die Umwandlung des Einsatzmaterials in Syngas verwendet wird. Mit Hilfe der Vergasungsmittel Sauerstoff (O2) und Wasserdampf (H2O) wird das aus der Biomasse gewonnene Material im Vergaser in das Rohsyngas umgewandelt. Aufgrund der hohen Austrittstemperatur enthält das Synthesegas keine höhermolekularen Kohlenwasserstoffe, wie Teere, Phenole und andere schwere Aromaten. Der Großteil der feinen Aschepartikel und des Staubs, die im gewonnenen Rohsyngas mitgeführt werden, werden in einem Zyklon entfernt und in den Vergaser zurückgeführt, um eine höhere Konversionsrate zu erreichen. Das Rohsyngas wird in einem Gaskühler durch die Erzeugung von Hochdruckdampf gekühlt.

Seit 1926 wurden weltweit 40 Winkler Vergaser gebaut, davon nutzten sieben Vergaser die HTW®-Technologie, unter anderem in Deutschland, Finnland und Japan. 2019 hat Gidara Energy dieses Verfahren von thyssenkrupp übernommen und weiterentwickelt. Pelletierter Abfall wird unter hohem Druck erhitzt, aufgespalten und wieder zu Syngas zusammengesetzt.

CO2 für den Gemüseanbau

Der bei diesem Prozess entstehende Kohlenstoff soll zukünftig in niederländischen Gewächshäusern für den Anbau von Pflanzen genutzt werden, denn für das Pflanzenwachstum ist eine CO2-angereicherte Atmosphäre wichtig. In naher Zukunft drohe der Branche jedoch eine Verknappung der Verfügbarkeit von CO2. Gemüsebauern sähen sich dann gezwungen eigenes CO2 durch das Verbrennen von Erdgas zu erzeugen und so Nachhaltigkeitsziele zu gefährden.

Hier setzt die geplante Kooperation mit Linde an: In enger Zusammenarbeit solle die Abscheidung und Produktion von sauberem, grünen CO2 entwickelt werden. Dieser werde dann von der Linde-Tochter OCAP für den Gewächshausgartenbau bereitgestellt.

Fortschrittliches Methanol für Biokraftstoffe

Das mit Hilfe von pelletiertem, nicht-recyclefähigen Abfall produzierte Syngas wird in einem weiteren Schritt in der AMA-Fabrik in Advanced Methanol umgewandelt und kann dann von Kunden als fortschrittlicher Biokraftstoff dem Benzin beigemischt werden. Auch hierfür hat Gidara Energy, wie nun mitgeteilt, einen Partner gefunden. AMA arbeitet exklusiv mit bp für die Abnahme des produzierten fortschrittlichen Methanols. 

Standort Hafen Amsterdam

Standort Amsterdam

Gebaut wird die AMA-Anlage im BioPark des Amsterdamer Hafens. Der BioPark ist ein Industriestandort, der speziell für Hersteller von erneuerbaren Kraftstoffen konzipiert wurde. Auch das Abfallhandling von PARO wird direkt am AMA-Standort angesiedelt sein. So entfallen Transportwege und wiederholtes Handling von Abfallmaterial und Pellets. 
Neben der geplante AMA-Produktionsanlage wird der Standort eine Testeinrichtung, ein Wissenszentrum und eine Pilotanlage umfassen.

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Catrin Senger
Catrin ist Redakteurin bei Edelstahl Aktuell. Stahl zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Berufsleben. Sie hat eine Ausbildung bei einem Großhändler für Rohr- und Rohrzubehör absolviert und in verschiedenen Funktionen bei einem Hersteller und Lieferanten von Analysegeräten für die Metallindustrie gearbeitet.