Foto: Space Team Aachen e.V.
Der Spaceport America Cup gilt als der weltweit größte Wettbewerb für studentische Raketenteams. Seit 2017 findet er jährlich im amerikanischen Bundesstaat New Mexico statt. Die teilnehmenden Studententeams starten Feststoff-, Flüssigkeits- und Hybridraketen in Zielhöhen von 10.000 und 30.000 Fuß also umgerechnet 3.048 und 9.144 Metern. Im Juni dieses Jahres war erstmals eine Wettkamprakete aus Deutschland vertreten: Das Space Team Aachen e.V. war mit seiner Wettkampfrakete „Aquila” eines von mehr als 150 internationalen Teams, die in diesem Jahr teilnahmen. Angetreten ist das Team in der 9km-Kategorie.
Das Space Team Aachen ist ein Verein für Weltraumforschung. Er wurde im August 2019 von raumfahrtbegeisterten Studierenden der RWTH und FH Aachen gegründet, um ihrer Leidenschaft für Raumfahrttechnik nachgehen zu können. Das Team nimmt an internationalen Raketenwettbewerben teil, entwickelt eigene Hybrid- und Flüssigkeitsraketentriebwerke und arbeitet in Forschungsprojekten mit Hochschul- und Industriepartnern zusammen.
So zum Beispiel mit dem Unternehmen Kerschgens Werkstoffe & Mehr GmbH (Kerschgens) mit Hauptsitz in Stolberg im Rheinland. Bereits seit zwei Jahren besteht die Kooperation.
Felix Herbort, Geschäftsführer von Kerschgens, erklärt: „Als regional verwurzeltes Unternehmen liegt es uns am Herzen, junge, engagierte Menschen zu unterstützen – insbesondere, wenn ein thematischer Bezug besteht. Daher war die Entscheidung schnell getroffen, dass wir die Studierenden vom Space Team Aachen mit einem Materialsponsoring unterstützen. Gleichzeitig ist es auch für uns ein sehr spannendes Projekt, bei dem wir die Gelegenheit haben, unseren Edelstahl in einem nicht-alltäglichen Anwendungsfall zu sehen.“
Auch in einem essenziellen Bauteil der Wettkampfrakete „Aquila“ befindet sich Stahl von Kerschgens: Der sogenannte „Decoupler“ aus Edelstahl sorgt dafür, dass der Hauptfallschirm der Rakete ausgeworfen wird, um sie wieder sicher zu landen.
Felix Herbort freut sich: „Das Besondere daran: Der Decoupler kann wiederverwendet werden und entspricht somit auch unserem Ziel von mehr Nachhaltigkeit – nun auch in der Raketenwissenschaft.“
Die Rakete
Aquila ist eine einstufige Rakete, die von einem kommerziellen Feststoffmotor angetrieben wird. Sie folgt auf die Projekte CARL (Competing Aachen Rocket Launcher) und CARL2. CARL war die erste Rakete, mit der das Space Team Aachen im Bereich der Hochleistungsraketen Erfahrung sammelte. Im Vergleich zu diesen beiden Vorgängern erreicht Aquila eine dreimal höhere Erdferne und hat – zum ersten Mal in der Geschichte des Space Team Aachen – die Schallmauer durchbrochen.
Die technischen Details der drei Meter langen und 30 kg schweren Rakete beschreibt das Space Team Aachen wie folgt: „Aquila besteht aus dem Nasenkonus, der Bergungs-, der Nutzlast- und der Triebwerkssektion. Der Nasenkonus besteht aus einer Spitze aus Aluminium und Glasfaser in Form eines Nasenkegels. Dort befindet sich die Elektroniksektion. Das Schleudersystem und die Fallschirme sind Teil der Bergungssektion, so dass die Rakete sicher auf dem Boden landen kann.
Der Triebwerksteil besteht aus dem Motor, den Flossen und dem Leitwerk. Um das angestrebte Apogäum von 9.000 m zu erreichen, wird ein handelsübliches Triebwerk vom Typ Cesaroni N4100 verwendet. Die beiden Rumpfrohre der Bergungs- und Triebwerkssektion werden im Split-Mould-Verfahren mit kohlefaserverstärkten Polymeren hergestellt. Die vier Flossen bestehen aus glasfaserverstärkten Polymeren und werden mit einer 3D-gedruckten Ausrichtungsvorrichtung an der Rakete befestigt. Um den Luftwiderstand zu verringern und die beim Aufsetzen der Rakete auftretenden Kräfte abzubauen, ist das Bootsheck aus Aluminium gefertigt.“
Bevor die Rakete zum Spaceport America Cup reiste, absolvierte sie einen ersten, vielversprechenden Testflug in Bayern. Auf einem Testgelände erreichte die runterskalierte und leichtere Version eine Höhe von 1,7 km.
Der Decoupler
Aquila benutzt einen doppelten Auswurf für ihre Fallschirme. Fisnik Zejnullahu vom Space Team Aachen erläutert: „Der Decoupler wird dazu verwendet, unseren Hauptfallschirm auszuwerfen und unsere Rakete zu landen. Der Decoupler ist insofern besonders, als dass er elektro-mechanisch funktioniert und somit komplett ohne Pyrotechnik auskommt. Dadurch erzielt man eine höhere Wiederverwendbarkeit, was durch die langlebigen Eigenschaften von Edelstahl unterstützt wird. In der Modellraketen-Branche ist das eine Besonderheit, da häufig auf Pyrotechnik gesetzt wird.“
Die Entscheidung für den Werkstoff Edelstahl wurde laut Fisnik Zejnullahu aus mehreren Gründen getroffen: „Als erstes ist Festigkeit für uns wichtig gewesen. Natürlich hätten wir das Teil auch 3D-drucken können wie viele unserer Teile. Da unsere Komponente allerdings ein sehr kritisches Element in unserem Bergungssystem ist, wollten wir kein Risiko eingehen. Gedruckte Kunststoffteile würden unsere Lasten vermutlich nicht aushalten. Ein weiterer wichtiger Grund ist, dass es sich um ein sehr präzises Bauteil handelt. Die Toleranzen sollten möglichst eingehalten werden. Bauteilfehler wie Korrosion könnten wir uns nicht erlauben, daher war Edelstahl eine logische Wahl.“
Das Space Team Aachen hatte für den Decoupler den Werkstoff 1.4301 gewählt, da dem Team in erster Linie die Korrosionsbeständigkeit wichtig war. Zudem musste das Material weich sein, da es zerspanend bearbeitet wurde. Von der Firma Kerschgens wurde dafür Blankstahl Rund 10 und Rund 30 (HL 3M) in 1.4301 bereitgestellt.
Auf die Frage von Edelstahl Aktuell, wie das Material weiterverarbeitet wurde, erklärt Fisnik Zejnullahu: „Das Material wurde als erstes in dreh- und fräsgerechte Dimensionen geschnitten. Danach haben wir es zu einem unserer Fertiger geschickt. Dieser hat die einzelnen Sub-Komponenten per Drehen und Fräsen für uns hergestellt. Aus den unterschiedlichen Komponenten haben wir den Decoupler gebaut.“
Der Wettbewerb
Der Wettbewerb lief leider anders als erhofft, aber das Space Team verbucht die Teilnahme als Erfolg. Aufgrund eines fehlerhaften Sensors des gekauften Board Computers waren die Druckdaten falsch, so dass das Bergungssystem zu früh ausgelöst hat. Das hatte zur Folge, dass noch während des Überschallfluges die Fallschirme ausgelöst wurden und verloren gingen.
Neben Flug, Landung, Recovery und dem genauen Erreichen des Apogäums, werden im Wettbewerb auch das Design und die Fertigungsqualität sowie die Dokumentation bewertet. Hier konnte das Space Team Aachen trotz misslungenem Flug punkten und überzeugte mit seinem Detailgrad und dem „German Engineering“, das in der Rakete verbaut war. Zufrieden reiste das Team mit 585 Punkten von 1.000 Punkten ab.
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