Fotos: ROLF KIND GmbH
Was im August 1969 mit nur einer Drehmaschine begann, hat sich zu einem innovativen Vorreiter in der Schmiedeindustrie entwickelt: Die Rolf Kind GmbH in Lindlar, ein in zweiter Generation familiengeführtes Unternehmen, das sich der Aufgabe gestellt hat, mehr als nur konventionelle Schmiedestücke zu fertigen. Im Gespräch mit Edelstahl Aktuell gibt Geschäftsführer Markus Kind einen Einblick in aktuelle Projekte, erklärt die Vorteile des Schmiedens und stellt eines der imposanten Bearbeitungszentren vor, ohne dass die Umsetzung der höchst individuellen Kundenaufträge nicht möglich wäre.
Die ROLF KIND GmbH ist Spezialist für Einzelteil- und Kleinserienfertigung von Schmiedestücken aus rost- und säurebeständigen Edelstählen, Nickelbasislegierungen und Titan für Anwendungen in hochkritischen Maschinen und Apparaten. Bauteile von KIND kommen unter anderem in der Chemie und Petrochemie, Öl- und Gasindustrie sowie im Maschinenbau zum Einsatz, aber auch Forschungs- und Innovationsprojekte stehen auf der beachtlichen Referenzliste. Aber bevor wir tiefer eintauchen in die Frage, was KIND antreibt, klären wir, warum sich Kunden für Schmiede- statt Gussteile entscheiden.
Schmiedetechnologie
Markus Kind erklärt: „Bei ROLF KIND erhalten sie nahtlos geschmiedete Teile, die jeweils aus einem gegossenen Rohblock gefertigt sind.“ Für ein besseres Verständnis gibt er Einblick in den Fertigungsweg: „Beim Schmieden erfolgt eine plastische Verformung des Rohblocks. Durch die Schmiedepressen wirken große mechanische Kräfte auf die Blöcke und verändern dadurch die geometrische Form. Dafür müssen unsere Edelstähle auf Temperaturen bis zu 1.220°C erhitzt werden. Das Schmieden erfolgt in mehreren Schritten, da das Material natürlich abkühlt und daher immer wieder in Öfen nachgewärmt werden muss, um schmiedbar zu bleiben.“ Der Fokus von KIND liegt übrigens auf dem Freiformschmieden: Das bedeutet, dass das Werkstück ohne Formwerkzeuge, sogenannte Gesenke, in Form gebracht wird. Diese Form des Schmiedens bietet sich insbesondere für Einzel- und Kleinserienfertigung an, sowie für die Herstellung großer Formteile wie etwa Wellen, Scheiben und Ringe – Produktgruppen, für die KIND weltweit bekannt ist.
Bearbeitung
Nach dem Schmieden und Wärmebehandeln erfolgt die finale Bearbeitung. KIND ist auf Dreh-, Fräs- und Bohrarbeiten in höchster Qualität spezialisiert und dementsprechend ausgestattet. „Wir können Drehen, Fräsen und Bohren bis zu 4,5 m Durchmesser und 26 m Länge“, bestätigt Markus Kind.
„Hochwertige Fertigung lässt keinen Raum für Kompromisse. Die Basis unserer Präzisionsarbeit ist ein optimal abgestimmter Produktionsprozess. Nur so können wir den Anforderungen unserer Kunden und unseren eigenen hohen Ansprüchen gerecht werden.“
Mit der hauseigenen Fertigung legt KIND einen Schwerpunkt auf die Bearbeitung und Oberflächenveredelung von schwer zerspanbaren Materialien. „Mit unseren NC- und CNC-gesteuerten Maschinen können wir auch die komplexesten Anforderungen in perfekter Bearbeitungsqualität erfüllen“, unterstreicht Markus Kind. In der jüngeren Vergangenheit hat das Unternehmen in zwei neue Tisch-Bohr- und Fräszentren investiert, die problemlos Werkstücke in einem Durchmesser von 3,5 m und 5 m Länge bearbeiten können.
Die Drehmaschine Torni Tacchi (HD3-120H CNC) kann Werkstücke mit einer Länge von bis zu bis zu 26 Metern und einem Durchmesser von 1.540 mm bearbeiten. Markus Kind ist sichtlich stolz: „Sie ist wahrscheinlich eine der längsten Drehbänke in Europa. Wir fertigen alle Komponenten nach engsten Toleranzen und höchsten Oberflächenanforderungen.“ Zudem hat KIND, um weiterhin zuverlässig Kundenwünsche erfüllen zu können, in eine 5-Achs-Fräsmaschine investiert, die eine Fertigung dreidimensionaler Teile ermöglicht.
Vorteile des Schmiedens
Aber zurück zur Frage, warum Schmieden? Markus Kind erläutert die Vorteile: „Werkstofftechnisch gesehen wird durch das Schmieden gezielt die Gefügestruktur verändert und die Korngröße reduziert. Das führt zu einer erhöhten Duktilität, das Material ist nicht so spröde.“ Der Schmiedeprozess ist also eine Veredelung des Ausgangsmaterials. Durch die Warmverformung des Schmiedeprozesses werden die Verschleißfestigkeit und Zähigkeit erhöht. Eventuelle Fehlstellen werden durch das Schmieden geschlossen und eine höhere Festigkeit erreicht.
Auch größentechnisch bietet das Schmieden Vorteile. Rohblöcke aus hochlegiertem Edelstahl mit Gewichten von 3.000 kg bis 50.000 kg können zu nahtlosen Bauteilen verarbeitet werden. Das Einsatzgewicht für Schmiedestücke aus Nickelbasislegierungen und Titan beträgt bis zu 15.000 kg. „Je größer und komplizierter – desto besser“, schmunzelt Markus Kind und erzählt von einem Kundenprojekt im Sommer 2022. Gemäß Kundenspezifikation wurden zwei Scheiben aus Alloy 800H / Werkstoffnummer 1.4876H gefertigt. Dabei betrug das Schmiedemaß der individuell geschmiedeten Scheiben 3.300 x 225mm. Die beiden Schmiedestücke wogen fertig bearbeitet jeweils circa 11.000 kg.
Zum Einsatz kommen Schmiedeteile häufig bei Anwendungen mit hohen mechanischen Belastungen, hoch korrosiven Anforderungen oder großer thermischer Belastung, wie etwa Höchsttemperaturanwendungen oder in cryogenen Umgebungen.
Thinking Steel
KIND definiert sich über die Nische. Je komplexer die Bauteile, die gefragt sind, desto besser. Ob Ringe, Scheiben, Stäbe, Wellen oder Sonderkonturen, die ROLF KIND GmbH setzt selbst die schwierigsten Produktformen um.
Das drückt auch der Unternehmensslogan „Thinking Steel“ aus. Nicht umsonst ziert Auguste Rodins Plastik „Der Denker“ in abgewandelter Form die Unternehmensbroschüre. Er steht für die Philosophie von KIND, sich bis ins letzte Detail Gedanken für die ideale Lösung zu machen.
Aber nicht nur KIND bewegt sich in Nischen. Projekte, für die die Schmiedeteile aus dem Hause KIND Anwendung finden, fristen nicht selten ein Schattendasein. Noch, denn viele Bereiche, in denen das Unternehmen seit vielen Jahren erfolgreich tätig ist, „kommen jetzt ans Fliegen“, freut sich Markus Kind. „Ob die Kernfusionstechnologie oder die sogenannte ‚Energy Transition‘, es sind diverse Anwendungsfälle, die nun in den Fokus rücken oder vor ihrem Durchbruch stehen.“ So empfindet er übrigens die derzeitige Energiekrise auch als Chance für neue Technologien, die eine Unabhängigkeit von fossilen Rohstoffen bieten.
Kernfusionstechnologie
Das Steckenpferd von KIND ist die Kernfusionstechnologie. Markus Kind zeigt sich überzeugt von ihrer Zukunftsfähigkeit. Seine Augen leuchten im Gespräch: „Die Kernfusion hat das Potenzial, die Welt nachhaltig zu verändern; ohne atomare Risiken, ohne Restmüll oder CO2-Emissionen. Ich gehe davon aus, dass bis 2040 funktionsfähige Kernfusionskraftwerke auf dem Markt sein werden. Dadurch entsteht mittelfristig eine komplett neue Industrie.“ Und mittendrin? Die Schmiedeprodukte von KIND, die dabei helfen sollen, die Welt zu einer anderen zu machen. Markus Kinds Beobachtung: „Die Forschung nimmt derzeit deutlich an Fahrt auf. Dazu erleben wir einen aktiven Wettbewerb zwischen Start-Ups und etablierten Forschungseinrichtungen, die seit sehr vielen Jahren die Kernfusionstechnologie erforschen. In den USA wird diese Entwicklung groß gefördert.“
Immer dabei: KIND. Seit über 20 Jahren etwa liefert KIND Schmiedeteile an Anlagenbauer weltweit, die für das internationale Forschungsprojekt ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor) in Frankreich arbeiten.
Ein Beispiel ist die Fertigung von insgesamt 220 Blanket Shield Blocks für das Korea Institute of Fusion Energy (KFE) bis 2024. Die aus dem speziellen Edelstahl F316 L(N)IG geschmiedeten Blöcke haben ein Liefergewicht von etwa 5 Tonnen. Verwendet werden sie für das Blanket System von ITER, einem hochkomplexen System, dass benötigt wird, um das superheiße Sonnenfeuer – das Plasma von ITER – später genauestens beherrschen zu können.
Qualitätsanspruch
Die detaillierten metallurgischen Werkstoffkenntnisse und das technische Know-how, die für solche Projekte unerlässlich sind, sind Inhouse verfügbar: Dafür sorgen der technische Geschäftsführer Ralf Kind und sein Team. Die Werkstofftechnik von KIND wird geschätzt in Forschung und Entwicklung, etwa, wenn es darum geht, Qualitäten weiterzuentwickeln oder neue Werkstoffe zu identifizieren. Zum Beispiel für den Einsatz in der Kernfusion. KIND ist aktiv dabei: „Wir sind Teil der Versuche, wenn es etwa um die Wärmebehandlung von geschmiedeten Teilen geht. Temperatur, Ausscheidungen, Korngrößen – das sind Bereiche, in denen wir bei der Entwicklung und Weiterentwicklung von Werkstoffen unsere Expertise einbringen“, erläutert Markus Kind.
Zudem legt KIND großen Wert darauf, die gesamte Fertigungskette in eigener Verantwortung zu halten: Schließlich geht es um die Erfüllung höchster internationaler Qualitätskriterien. Durch seine langjährige Erfahrung ist das Schmiedeunternehmen in der Lage, die benötigten Arbeitsprozesse und Fertigungswege genau auf die jeweiligen Kundenbedürfnisse einzustellen. „Ob konturnahes Schmieden, nahtloses Walzen oder induktives Erwärmen und Anstauchen – wir finden den individuell optimalen Prozess für jedes Werkstück und das optimale Schmiedeaggregat für jedes Bauteil“, unterstreicht Markus Kind.
In diesem Zusammenhang sei auch nochmals die Qualitätssicherung erwähnt:
Prüfungen in Bezug auf Korrosionsresistenz, Hitzebeständigkeit und extreme mechanische Belastungen gehören bei Rolf Kind zum Standard. Das „Level III“-zertifizierte Personal ist in der Lage, die Vorbereitung und Durchführung aller zerstörenden und zerstörungsfreien Prüfungen wie Ultraschall-, Farbeindring- und visuelle Prüfung durchzuführen und eine anforderungsgerechte Lieferung der Bauteile zu garantieren.
Qualität bedeutet auch die Erfüllung aller kundenspezifischen Standards und Zulassungsvoraussetzungen bis hin zu den deutschen KTA-Richtlinien und der französischen RCC-MR-Richtlinie im Bereich kernkrafttechnischer Anlagen. Zudem ist KIND gemäß NORSOK M650 zertifiziert und arbeitet eng mit allen führenden Abnahmegesellschaften zusammen.
Nachhaltigkeit
Auf das Trendthema Nachhaltigkeit bzw. „grüner Stahl“ angesprochen, antwortet Markus Kind mit einer eigenen Definition: „Unsere Schmiedeteile sind unter ökologischen und sozialen Gesichtspunkten hergestellt. Für sinnvolle Anwendungen. ‚Responsible Steel‘ bedeutet für uns verantwortungsvoller Stahl. Dazu gehört unter anderem, dass wir unser Ausgangsmaterial, Edelstahl- und Nickellegierungsblöcke, aus Europa und den USA und nicht aus Drittländern, wo häufig noch keine Umweltstandards eingehalten werden, beziehen.“
Auch die Unternehmenskultur von KIND ist geprägt von Nachhaltigkeit: „Uns ist ein sehr gutes Verhältnis zu unseren Mitarbeitern wichtig. Dazu gehört neben sicheren Arbeitsplätzen auch das Angebot, jungen Menschen eine fundierte Ausbildung zu bieten. Im Januar haben zwei unserer Auszubildenden ihre Ausbildung zum Zerspanungsmechaniker mit sehr guten Ergebnissen bestanden. Beide sind mit einem unbefristeten Arbeitsvertrag übernommen worden. Auch das ist für mich Nachhaltigkeit.“
Ebenso wie die oft langjährigen Beziehungen zu Kunden. Damit schließt Markus Kind das Gespräch, nicht ohne den verschmitzten Verweis, dass KIND immer auf der Suche nach noch komplexeren Herausforderungen ist. „Es ist noch viel Forschung und Entwicklung erforderlich – etwa für grünen Wasserstoff, der, wenn erst einmal der Markthochlauf erfolgt, in großen Mengen gelagert und transportiert werden muss.“
Wir werden also auch in Zukunft von beeindruckenden Schmiedearbeiten aus dem Hause ROLF KIND hören und lesen.
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