Der Strangguss gilt – nach der Erfindung des Sauerstoffblas-Verfahrens – als zweite Revolution innerhalb der Stahlproduktion. Bahnbrechend für den wirtschaftlichen Erfolg des Verfahrens war die Erfindung der oszillierenden Kokille, erklärt Dino Kabosch, Technologieentwickler bei SMS Concast AG. Das Unternehmen aus Zürich ist quasi von Geburt an untrennbar mit dem Strangguss verbunden. Es war Irving Rossi, Stahlpionier und Vater des Stranggusses, der 1954 die Concast AG gründen ließ. Die SMS Group, zu der die SMS Concast AG heute gehört, erwirtschaftet einen Jahresumsatz von weltweit ca. drei Milliarden Euro.

Nichts darf festkleben

Mit CONDRIVE hat SMS Concast eine Lösung auf den Markt gebracht, die das Oszillieren der Kokille effektiver und besser regelbar macht.

Die Basis bildet die Direktantriebstechnik aus dem KBM-Motorenbaukasten von KOLLMORGEN. Vorangegangen war eine fachlich anspruchsvolle gemeinsame Engineeringphase. Diese hatte zum Ziel, eine Antriebslösung zu entwickeln, mit der sich hochflexible Oszillationsprofile realisieren lassen. Mit den derzeitigen elektromechanischen Antriebssystemen lässt sich online allein die Frequenz regeln, während die Amplitude durch das mechanische System vorgegeben ist.

Welche Bedeutung das patentierte Verfahren hat, wird beim näheren Blick auf den Stranggussprozess deutlich. Der flüssige Stahl wird batchweise in Pfannen an die Stranggießanlage geliefert. Aus der Pfanne fließt der Stahl unter Luftabschluss in eine Verteilerrinne. Diese Verteilerrinne dient zum einen zum Verteilen des Stahls auf verschiedene Stränge und zum anderen als Zwischenpuffer beim Pfannenwechsel. Über den Verteiler wird der Stahl auf einen bis acht Stränge verteilt und fließt über eine Regeleinrichtung in die Kokillen. Hier findet der Formgebungsprozess statt. Auf der Oberfläche des flüssigen Stahls in der Kokille wird entweder ein so genanntes Gießpulver oder auch ein Öl aufgegeben. Das zu einer Schlacke aufschmelzende Gießpulver oder das Öl haben u.a. die wichtige Aufgabe, eine Schmierung zwischen der sich an der Kokillenwand bildenden Strangschale und der wassergekühlten Kokille sicher zu stellen. Aufgrund dieser Schmierwirkung und der Relativbewegung zwischen Strangschale und Kokille aufgrund der Oszillation bleibt die weiche, empfindliche Strangschale nicht an der Kokille haften und kann kontinuierlich „im Strang“ aus der Kokille gezogen werden.

Dieser Bereich ist entscheidend für den hochwertigen und vor allem betriebssicheren Strangguss. Die durch die KOLLMORGEN Direktantriebe erzeugte Oszillation muss so ausgefeilt in ihrer Bewegung erfolgen, dass während des Abziehens des Stranges ausreichend Gießschlacke in den Spalt zwischen Strangschale und Kokillenwand eingezogen wird, um die auf die Strangschale wirkenden Reibkräfte zu minimieren.

Zudem dürfen die aus dem Bewegungsprofil resultierenden Zugkräfte nicht dazu führen, die gerade gebildete Schale wieder zu zerreißen. In diesem Fall würde sich flüssiger Stahl in die Anlage ergießen – was zum sofortigen Gießabbruch und entsprechenden Produktionsausfall führt.

In der Regel wird ein sinusförmiger Oszillationsverlauf eingestellt. Entscheidend hierbei ist das Zeitfenster, in dem die oszillierende Kokille in der Abwärtsbewegung den ebenfalls nach unten bewegenden Stahlstrang überholt, bevor die formgebende Einheit am unteren Scheitelpunkt wieder nach oben fährt.

Dieser Überholvorgang nennt sich „Negativ Strip Time“ und definiert die Zeit, in der sich das Gusspulver beim Abziehen an die Außenwand des Stahls legen kann. Die schwingende Bewegung der Kokille bedingt, dass sich auf der Strangoberfläche feine Wellen ausbilden, sogenannte Oszillationsmarken.


SMS, Kokille

Veränderbare Schwingungshöhen

Mit welcher Frequenz und vor allem mit welcher Amplitude im Strangguss die Kokille idealerweise zu oszillieren hat, hängt von Faktoren wie der Stahlqualität, der Rezeptur, der Produktionsgeschwindigkeit oder auch der Kokillenform ab. Typischerweise liegt die Negativ Strip Time in einem Zeitfenster zwischen 0,08 und 0,18 Sekunden. „Haben wir diese Zeit nicht, können wir nicht mehr gießen. Dann funktioniert die komplette Mechanik nicht mehr – also das Reibungsverhältnis zwischen Kupfer und Stahl“, erklärt Kabosch und spricht vom flüssigen Schokokuchen, der auf dem Backblech festklebt und beim Lösen aus der Form auseinanderreißt. Das Zusammenspiel aus Reibkraft bzw. Reibungskoeffizient und dem ferrostatischen Druck, der durch den flüssigen Stahl senkrecht auf die Innenseite der Kokille wirkt, ist fragil. „An dieser Stelle setzen wir mit den Direktantrieben von KOLLMORGEN an“, beschreibt der Entwickler von SMS Concast. Die Übertragung mechanischer Abläufe in eine softwarebasierte Motion Control eröffnet die Möglichkeit, neue Bewegungskurven effektiv zu realisieren und die Bewegung sehr flexibel und individuell an die unterschiedlichen Gießbedingungen anpassen zu können.

Der besondere Vorteil liegt darin, dass sich die Oszillation sowohl in der Frequenz, in der Amplitude als auch in der Kurvenform verändern lässt. Die Amplitude ist entscheidend für zurückgelegte Strecken innerhalb eines Zeitfensters. „Eine Exzentermechanik dafür umzubauen ist nur bei Betriebsstillstand möglich und dauert lange“, merkt Dino Kabosch an. Auch gegenüber hydraulischen Antrieben für die Oszillation punktet der CONDRIVE, da die servomotorische Lösung keine aufwändige hydraulische Infrastruktur benötigt und zudem deutlich weniger Wartungsaufwand erfordert.

KBM-Motoren: Kompakte Bauform

Die speziell von KOLLMORGEN auf die Belange dieser Applikation abgestimmten Torquemotoren entstammen dem KBM-Baukasten.

Die Antriebe liefern in der Baugröße 118 ein Drehmoment von 660 Nm und ein Spitzenmoment von 1000 Nm. Damit ist der Antrieb in der Lage, die zwischen 3,5 bis 7 Tonnen schweren Oszillationsmassen zielgerichtet zum Schwingen zu bringen. Regelungsseitig setzt SMS Concast ebenfalls auf KOLLMORGEN – und dieses in Gestalt der Servoverstärker S700.

Die Besonderheit bei der Schwingungserzeugung besteht darin, dass die Schwingung nicht von einer umlaufenden Exzenterwelle im rotativen Dauerbetrieb erzeugt wird, sondern von einer wiederkehrenden Reversierbewegung des Motors.

Was auf den ersten Blick recht einfach klingt, hat im Engineering durchaus anspruchsvolle Herausforderungen mit sich gebracht. Das stetige Reversieren führt etwa zur Frage, wie sich die Verlustwärme effektiv abführen lässt. Zudem tauchen weitere Fragen zur Schmierung auf.
Da der Motor keine vollständigen Umdrehungen mehr vollzieht, würde das Fett handelsüblicher lebensdauergeschmierter Lager unweigerlich von den Wälzkörpern verdrängt werden. Die Schmierwirkung wäre damit nicht mehr gewährleistet.
Letztlich haben diese drei Rahmenbedingungen dazu gehört, dass KOLLMORGEN den KBM-Motor mit einer Wasserkühlung ausstattete, um die Verlustwärme wirksam abführen zu können. Für die dauerhaft effektive Schmierung der wenigen Lager des getriebelosen Direktantriebs sind Stator und Rotor komplett in einem Ölbad eingeschlossen – was letztlich die gekapselte Einheit auch sicher vor Metallstaub schützt.
Ein weiterer Vorteil resultiert aus dem Wegfall des Getriebes – und zwar mit Blick auf die kontinuierliche Zustandsüberwachung der Anlage und des Prozesses. Indem der KBM-Motor ohne Einfluss störender Getriebeeinflüsse wie Spiel oder Reibung den Prozess antreibt, wird zum einen eine extrem exakte Steuerung des Prozesses gewährleistet und kann andererseits der Prozess sehr direkt und genau aufgrund der Motordaten überwacht werden. Es sind vor allem die Motorkennzahlen wie Strom und Drehzahl, mit denen sich Prozessabläufe präzise analysieren lassen – bis hin zur Einbindung in IoT-Systeme.

Potenzial für Modernisierungen

„Die Arbeit hat sich gelohnt – freut sich Dino Kabosch angesichts der in einer Stranggussanlage bei Swiss Steel AG gesammelten Erkenntnisse über dieses neue Verfahren der Oszillation. Zwei Jahre Entwicklung stecken darin –. Der CONDRIVE läuft sehr gut. Fast schon zu gut. Wir suchen immer noch Fehler in der Mechanik, finden aber keine. Das ist ein schönes Gefühl.“
Aktuell entwickele sich der CONDRIVE zu einem begehrten Serienprodukt, das sich dank seiner einfachen Integration und hohen Verfügbarkeit sehr gut für Modernisierung bestehender Stranggussanlagen eigne.
Aufträge in Spanien, Indien und China kennzeichnen den Erfolg der Lösung mit der servomotorischen Direktantriebstechnik von KOLLMORGEN im Inneren.

Fazit

Mit CONDRIVE hat SMS Concast ein System entwickelt, dass aufgrund der gekapselten Direktantriebe aus dem KBM-Motorenbaukasten von KOLLMORGEN nahezu wartungsfrei arbeitet. Dabei bietet die Innovation eine hervorragende Präzision bei der Steuerung der Kokillenoszillation. Im Gegensatz zu anderen Antriebssystemen für Oszillationen (einschließlich hydraulischer Servozylinder) kombiniert CONDRIVE ein einfaches Design mit einer online Einstellung und Überwachung der Schwingungskurven.

Autor: Martin Zimmermann

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Catrin Senger
Catrin ist Redakteurin bei Edelstahl Aktuell. Stahl zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Berufsleben. Sie hat eine Ausbildung bei einem Großhändler für Rohr- und Rohrzubehör absolviert und in verschiedenen Funktionen bei einem Hersteller und Lieferanten von Analysegeräten für die Metallindustrie gearbeitet.