Das Investcorp-Gebäude des Middle East Centre

Fotos: FRENER & REIFER Fassaden | Quintin Lake

 

Sanfte Lichtreflexionen auf einer Freiformfassade
aus Edelstahl

Das 1957 gegründete Middle East Centre des St Antony’s College ist das Zentrum für das interdisziplinäre Studium des Nahen Ostens an der Universität Oxford. Die Fellows des Zentrums lehren und forschen in den Geistes- und Sozialwissenschaften mit direktem Bezug zur arabischen Welt, zum Iran, zu Israel und zur Türkei, wobei der Schwerpunkt auf dem 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart liegt.

Modernisierung & Ausbau

Ursprünglich in einem viktorianischen Haus an der Banbury Road untergebracht, befindet sich das Middle East Centre (MEC) seit 1978 im ehemaligen Refektorium der Kirche von Saints Philip and James (erbaut 1887) in der Woodstock Road 68. Zwischen 2007 und 2015 hat das MEC sein nach eigenen Aussagen bis dato ehrgeizigstes Entwicklungsprojekt in Angriff genommen: einen Ausbau der Räumlichkeiten für die tägliche Arbeit des MEC.

Das Gebäude schwingt sich empor und bleibt trotzdem unter der Dachlinie des angrenzenden Gebäudes.

Das neue Investcorp-Gebäude wurde 2015 eröffnet und bietet 1.127 Quadratmeter zusätzliche Nutzfläche sowie einen Hörsaal mit 117 Plätzen. Damit hat sich der Platz für die wachsende Bibliothek und das Archiv des MEC verdoppelt.

Im Investcorp-Gebäude finden sich optimale Bedingungen für die Erhaltung und Verwaltung der Sammlungen des MEC, die zuvor im Keller des Refektoriums gelagert wurden. Bei den Sammlungen handelt es sich nicht um irgendwelche Sammlungen, sondern das MEC beherbergt die wichtigste Sammlung der Universität zum modernen Nahen Osten: Eine Sammlung privater Bücher und mehr als 100.000 historischer Fotos ab 1800. Das 1961 gegründete Archiv umfasst mittlerweile über 400 private Nachlasssammlungen.

Schwebender Tunnel

Entworfen wurde der Neubau des Middle East Centres von der Stararchitektin Dame Zaha Muhammad Hadid, kurz Zaha Hadid. Die britisch-irakische Architektin war bekannt für ihren fließenden Baustil.

Das MEC war ein herausforderndes Projekt: ein begrenztes Gelände, ein historisches Gebäudeumfeld und dazu noch Wurzelplatz eines jahrhundertealten Mammutbaums. Der Entwurf Zaha Hadids verbindet die bestehenden geschützten Gebäude und Bäume und bezieht sie ein. Der Mammutbaum wird teilweise vom Gebäude umschlossen.

„Das Projekt behält den freistehenden Charakter der derzeitigen Gebäude der Hochschule bei, so dass sie als eigenständige Elemente gelesen werden können, während gleichzeitig ein modernes Gebäude entsteht, das die Vergangenheit, Gegenwart und zukünftige Entwicklung der Hochschule, der Universität und der Stadt widerspiegelt,“ schreibt das Architekturbüro Zaha Hadids Architects (ZHA) in der Projektbeschreibung.

So orientiere sich das Gebäude im Westen an den bestehenden Gebäuden der Woodstock Road 66 und 68. Die geschwungene Form der Westfassade des Lesesaals der Bibliothek windet sich um den jahrhundertealten Mammutbaum, während unter den Fundamentplatten ein Drainagesystem installiert wurde, um sicherzustellen, dass der Baum ausreichend Feuchtigkeit erhält.

Dach und Fassade gehen fließend ineinander über.

Im Osten erheben sich der Lesesaal des Archivs und die Büros der Bibliothekare bis zur Höhe des brutalistischen Hilda-Besse-Gebäudes von 1970, dem sie gegenüberstehen. Trotzdem bleibt das Investcorp-Gebäude jedoch unter der Dachlinie des angrenzenden Gebäudes 66 Woodstock Road.

Die Gebäudefläche verteilt sich auf drei Geschosse sowie ein Untergeschoss. Die Primärstruktur ist Stahlbeton, für das Dach wurden TNT-Platten genutzt, die auf ihre spätere Form gebogen wurden. Für die Verkleidung wurden 2 mm 1.4404 Edelstahlbleche verwendet, geschliffen und elektropoliert.

Dadurch wurde die Anmutung eines Tunnels erzielt, der zwischen den historischen Gebäuden schwebt und sie verbindet.

Freiformfassade aus Edelstahl

Spektakulär ist die Freiformfassade aus Edelstahl, die von dem Südtiroler Fassadenbauunternehmen FRENER & REIFER geplant, gefertigt und montiert wurde. Verantwortlich für die Fassade in der Ausschreibung war das Ingenieursbüro ARUP mit Sitz in London. Sanft wird das natürliche Licht reflektiert und spiegelt den Kontext des Gebäudes wider. Die Edelstahlfassade erstreckt sich über eine Fläche von 650 Quadratmetern. Hierfür wurden circa 300 frei-geformte, teils doppelt gekrümmte Edelstahlbleche benötigt.

Eine Vorgabe war, dass die Paneele keinesfalls hochspiegelnd sein dürfen, um den vorbeifließenden Verkehr nicht zu stören und auch andere Formen der Beschädigung zu vermeiden.

Jedes Paneel ist ein Unikat und wie bei so vielen Projekten war auch hier die Reihenfolge der Edelstahlverkleidung von entscheidender Bedeutung. Angeliefert wurden sie in Größen von etwa 1,50 Meter Breite und bis zu einer Höhe von vier Metern.

Grafik: Carlisle

Die Fassade soll so homogen wie möglich wirken. Erzielt wird diese optische Täuschung durch die Verwendung möglichst weniger Bleche. Eine Herausforderung für die produzierenden Maschinen, da viele Platten doppelt gekrümmte Oberflächen haben.

Um die nahezu durchgängige Oberfläche zu gewährleisten, wurde eine eigene Befestigungslösung entwickelt. Sämtliche horizontale Stöße der Bleche wurden als Haarfugen ausgebildet.

Dach und Fassade gehen fließend ineinander über. Damit kein Wasser eindringt, setzten die Architekten unter der Außenhaut auf eine Komplettlösung von CARLISLE® CM Europe.

Formgebend für die skulpturale Geometrie ist eine Unterkonstruktion aus Holzleimbindern, die mit 18 mm Sperrholzplatten beplankt ist. Darauf wurde als Komplettlösung ein Abdichtungssystem mit aufeinander abgestimmten Komponenten von CARLISLE® CM Europe installiert. Auf der Flächengrundierung wurden selbstklebende ALUTRIX® 600 Dampfsperrbahnen verlegt. Darauf bilden 12 cm starke PU-Dämmplatten die Wärmeschutzschicht.

Im Hohlraum unter den Edelstahl-Paneelen der Außenhaut bildet sich naturgemäß Kondenswasser; um zu verhindern, dass Feuchtigkeit in die Konstruktion eindringt, wurden Dichtungsplanen verlegt. Die 1,3 mm starken EPDM-Planen wurden mit Kontaktkleber verklebt und mit einem dauerelastischen Ein-Komponenten Kleb- und- Dichtstoff, der speziell für vertikale und horizontale Untergründe entwickelt wurde, versiegelt.

Jedes Oberlicht verfügt über ein Drainagesystem, das Regenwasser sammelt und über einen versteckten Abfluss im Inneren ableitet.

Ausgezeichnetes Lichtdesign

Das Dach, das die Fortsetzung der Fassade bildet, enthält 25 Oberlichter in Tropfenform, die als Hauptlichtquelle für die Bibliothek dienen. Beauftragtes Unternehmen für die Entwicklung der Beleuchtungsstrategie in den drei Schlüsselbereichen Lesesaal, Treppenhaus und Hörsaal war das Ingenieurbüro ARUP.

Durch die tropfenförmigen Oberlichter kann das Tageslicht ungehindert eindringen.

Die Auswirkungen der elektrischen Beleuchtung auf die architektonische Form war eine Priorität. ARUP suchte daher nach einem diskreten Beleuchtungssystem, das direktes und diffuses Licht liefern würde. Die Lösung bestand letztlich in der Verwendung von Einbauleuchten in der Oberlichtkugel, sozusagen eine „Schale in der Schale“, in der die elektrische Beleuchtung untergebracht wurde. Somit bleiben die Leuchten verborgen, während das Tageslicht ungehindert eindringen kann. Die Entwicklung, Fertigung und Positionierung der Oberlichter verantwortete FRENER & REIFER.

Catrin Senger
Catrin ist Redakteurin bei Edelstahl Aktuell. Stahl zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Berufsleben. Sie hat eine Ausbildung bei einem Großhändler für Rohr- und Rohrzubehör absolviert und in verschiedenen Funktionen bei einem Hersteller und Lieferanten von Analysegeräten für die Metallindustrie gearbeitet.

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Alle Bilder wurden vor der COVID-19-Pandemie bzw. unter Einhaltung der Abstandsregeln aufgenommen.

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Catrin Senger
Catrin ist Redakteurin bei Edelstahl Aktuell. Stahl zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Berufsleben. Sie hat eine Ausbildung bei einem Großhändler für Rohr- und Rohrzubehör absolviert und in verschiedenen Funktionen bei einem Hersteller und Lieferanten von Analysegeräten für die Metallindustrie gearbeitet.