Fotos Balmberg: Luftaufnahmen Röthlisberger www.peterbudi.ch
Was sind Brücken? Ganz praktisch gesehen sind sie funktionale Bauwerke, die verbinden, was durch ein Hindernis getrennt ist. Zu Beginn des Brückenbaus dominierten Holz und Stein als Baumaterial, in Asien und Südamerika wurden zudem Pflanzenfasern verwendet. In den letzten Jahrhunderten kamen Baustoffe wie Eisen, Beton oder auch Duplex hinzu.
Brücken queren Gewässer, tieferliegende Gelände oder auch andere Verkehrswege. Aus unserem Straßenraum sind sie nicht mehr wegzudenken. Auf Brücken stoßen wir allerdings nicht nur im Straßenverkehr, sondern auch in unserer Freizeit, zum Beispiel beim Wandern über Stock und über Stein. Hier trifft man, häufig im Gebirge, auf Hängebrücken oder Seilbrücken. Der Schweizer Hersteller von Faser- und Drahtseilen, Jakob Rope Systems, hat sich auf die Planung, Lieferung und Montage von Seilen und Netzstrukturen u.a. für Seil- und Hängebrücken spezialisiert.
Seilbrücke bei Solothurn
Seit November 2022 ist die neue Seilbrücke „Gschliff“ am Balmberg nahe Solothurn eröffnet. Sie ist die einzige Seilbrücke im Kanton Solothurn. Die Aussicht von der Fußgängerbrücke ist spektakulär. Sie eröffnet Besuchern einen freien Blick über das Mittelland bis hin zum Alpenpanorama des Berner Oberlandes.
Die 50 Meter lange Seilbrücke stellt am Balmberg zwischen den Wegpunkten Hofbergli und Niederwiler Stierenberg eine Verbindung (Jura Höhenweg Nr. 5) über die Steinschlagzone „Gschliff“ wieder her. Damit ist der Wanderweg nach fünf Jahren Sperrung wieder sicher begehbar. Die Brückenkonstruktion ist dauerhaft und fügt sich dezent in die Felslandschaft des Jura Höhenweges.
Umsetzung
In Zusammenarbeit mit der Emch+Berger Gruppe durfte Jakob Rope Systems das Komplettangebot zum Bau der Trag- und Spannseilstrukturen werkplanen und liefern. Dies beinhaltete neben der Werkstatt- und Installationsplanung die Lieferung und Montage der Tragseile, der Abspann- und Händerseile, der Webnet-Elemente und der Verbindungs- und Stahlbauelemente. Die schlichte und filigrane Seilkonstruktion besteht aus vier Edelstahltragseilen mit einem Durchmesser von je 26 Millimetern. Acht Spannseile und das als Geländerfüllung integrierte Webnet verleihen der Brücke Stabilität und zugleich eine dauerhafte und langlebige Struktur.
Die Spannseile dienen der Stabilisierung der Brücke und verhindern insbesondere ungewollte Verformungen bei starkem Wind. Sie sind unterhalb und seitlich von der Brücke weggespannt. Die Funktion der Trageseile ist, wie ihr Name schon verrät, das Gerüst der Brücke zu tragen. Sowohl Spann- als auch Tragseile sind aus Edelstahl 1.4401 gefertigte offene Spiralseile. Jakob Rope Systems erläutert: „In Spiralseilen werden Drähte helixförmig in mehreren Lagen angeordnet. Das offene Spiralseil ist ausschließlich aus Runddrähten aufgebaut. Spiralseile eignen sich gut als Spann- und Halteelement.“ Während das Seil für die vier Tragseile aus 37 Drähten hergestellt wurde, wurden für das Seil, dass für die Spannseile verwendet wird, 19 Drähte genutzt.
Webnet ist ein vielseitiges Edelstahlnetz von besonderer Spannkraft und Flexibilität. Für die Seilbrücke am Balmberg wurde das biegsame Edelstahlnetzgewebe Webnet micro aus Edelstahl 316 mit Hülsen verwendet. Es gibt Halt und Führung und punktet mit seiner Witterungsbeständigkeit und Strapazierfähigkeit. Bei Projekten, bei denen Webnet im Sichtbereich verwendet wird, empfiehlt sich übrigens Webnet ohne Hülsen für ein dezenteres Auftreten. Denn das Edelstahlnetzgewebe ist bei praktisch identischen Festigkeitswerten nochmals transparenter als Webnet mit Hülsen. Oder, wie die Seilspezialisten von Jakob Rope Systems ausführen: „Die Seildrähte werden miteinander verwoben, indem sie durchstochen werden, was das Webnet besonders elegant macht. Zudem fallen Lichtreflektionen an den Hülsen weg.“
Für die Seilbrücke am Balmberg wurden je Seite ein Stück Webnet micro installiert. Der ausgewählte Seildurchmesser beträgt 1,5 mm und die Maschenweite 40 mm. Die für das „Gschliff“ ausgewählte Maschenweite von 40 mm soll das Beklettern der Brücke verhindern. Die beiden installierten Stücke Webnet sind jeweils 50 Meter lang und 1,1 Meter hoch.
Die Bauarbeiten an der Seilbrücke wurden in zwei Etappen durchgeführt. Von Juli bis August 2022 wurden die Baumeisterarbeiten im anspruchsvollen Gelände und am Felsen ausgeführt. Anschließend konnte Jakob Rope Systems von September bis Oktober 2022 die Seilkonstruktion für die Brücke installieren. Seit November 2022 ist die Brücke für Fußgänger geöffnet.
Hängebrücke der Superlative
Außergewöhnlich ist ein weiteres Brückenbauprojekt, mit dem Jakob Rope Systems seine Kompetenz für Seil- und Leichtbaustrukturen zu kleinen und großen Spannweiten beweisen darf: Graubündens längste Hängebrücke in Disentis/Mustér. Sechsmal länger als die Seilbrücke „Gschliff“ am Balmberg soll „La pendenta“ („die Hängende“) werden. Hinter dem Projekt steht der eigens für die Umsetzung gegründete Verein „La pendenta“.
Neben dem Ziel, eine direkte Verbindung für Fußgänger über den Rhein zu schaffen sowie ein neues touristisches Ziel zu etablieren, soll die geplante Hängebrücke auch dem Naturschutz dienen. Die Schlucht ist Winterhabitat für verschiedene Wildtierarten.
Die neue Hängebrücke kann dazu beitragen, Störungssituationen, die durch Wanderer und Schneeschuhläufer verursacht werden, zu minimieren.
Mit einer Länge von fast 300 Metern und einem Bodenabstand von 100 Metern wird die Hängebrücke einen spektakulären Fußweg von Mumpé Medel nach Disentis/Mustér über die hier schmale, tiefe Rheinschlucht schaffen. Aus touristischer Sicht verbindet die Hängebrücke dann zwei Wegpunkte des historischen Säumerwegs über den Lukmanierpass. Filigran soll sie in die Landschaft eingepasst werden.
Für die Komplettlösung aus Entwurf, Planung, Herstellung und Montage hat die ARGE Jakob Rope Systems / Pfeifer / Von Rotz & Wiedemar AG den Zuschlag erhalten. Jakob Rope Systems entwarf die Konstruktion der Hängebrücke und wird die Bauplanung durchführen
Laut aktuellem Planungsstand von Jakob Rope Systems soll das Brückentragwerk aus vier Tragseilen mit einem Durchmesser von 45 mm unterhalb des Gehweges und zwei Tragseilen auf Handlaufebene gebildet werden. Bei den Tragseilen für „La pendenta“ handelt es sich um vollverschlossene Seile, die vollständig durchlaufen.
Eine aus Edelstahlseilen und Verbindungen bestehende Abspannstruktur soll unerwünschtes Schwingen während der Nutzung reduzieren, bei Windeinwirkung Kräfte abtragen und größere Verformungen verhindern.
Die stählerne Rahmenkonstruktion des Brückenträgers wird an den Tragseilen aufgeständert. Das Webnet von Jakob Rope Systems mit einer Höhe von 1,30 Metern soll als seitliche Geländerfüllung für die nötige Absturzsicherheit sorgen und zusätzlich Lasten abtragen. Hierfür werden pro Seite voraussichtlich 17 einzelne Edelstahlnetze aus Edelstahl 316 montiert.
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