Immer häufiger kommt beim Schweißen von Titan der Elektronenstrahl zum Einsatz. „Der einst schwer kalkulierbare Exot mausert sich nun zum gut beherrschbaren Industrieprozess“, so erklärt Nicolas von Wolff, Vorstandsvorsitzender der pro-beam Gruppe. Aus manchen Legierungen, die als schwer schweißbar galten, wie zum Beispiel Titan oder Inconell 713, wurden bisher schon Millionen von Turboladerkomponenten per Elektronenstrahl gefertigt.
Das Schweißen mit dem Elektronenstrahl galt bis vor Kurzem noch als ein sehr komplexer Prozess, der nicht einfach beherrschbar war. „Die moderne Anlagen- und Steuerungstechnik ermöglicht jedoch inzwischen eine einfache Bedienung“, so von Wolff weiter. Daher setzt die Industrie vermehrt auf die Technologie, denn sie bietet zahlreiche Vorteile – vor allem bei Anwendungen, die bisher nur schwer zu schweißen waren.
„Der Tiefschweißeffekt sorgt für schlanke und parallele Nähte von mehr als 150 mm Tiefe. Besonders effizient ist der Elektronenstrahl bei einer langen Schweißnaht. Winkelverzug und Querschrumpfung sowie andere störende Einwirkungen sind beim Elektronenstrahlverfahren minimal. Das Anwendungsspektrum reicht vom Schweißen kleinster Bauteile bis zum Fügen von Werkstücken mit mehr als 150 mm Wanddicke in einem einzigen Arbeitsgang.“ Davon profitiere unter anderem die Konstruktion von mechanischen Bauteilen, die Bearbeitung von Einzelteilen aus der Luft- und Raumfahrt, dem Bootsbau oder der Großserienfertigung im Elektro- und Automobilbau.

Fokussierte Elektronen

In der Regel sind Elektronen fest an Atome gebunden, sie lassen sich aber unter Energiezufuhr aus der Atomhülle lösen. Beim Elektronenstrahlschweißen erzeugt eine geheizte Kathode zunächst eine Wolke aus freien Elektronen. Diese werden dann durch eine Anode stark beschleunigt. Steuergitter und elektromagnetische Linsen formen aus den freien Elektronen einen fokussierten Strahl. „Dabei erreichen die Elektronen eine Geschwindigkeit zwischen einem und zwei Dritteln der Lichtgeschwindigkeit. Da sich der Elektronenstrahl magnetisch ablenken lässt, ist er präzise steuerbar“, erläutert von Wolff weiter.

Titan, Schweißen

Heikle Werkstoffe

Das Schweißverfahren findet im Vakuum statt. Es nutzt dabei die Energieübertragung der Elektronen, die an der Auftreffstelle beim Abbremsen ihre Wärme punktgenau an das Material abgeben. Der umgebende Werkstoff bleibt dabei weitgehend kalt. „Bei Energiedichten von über 106 W/cm² verdampft das geschmolzene Material im Zentrum der Auftreffstelle.“ Dabei entstehe eine Kapillare aus Dampf, die von flüssigem Material umgeben sei. Das Vakuum unterstütze dabei die Verarbeitung von reaktiven Metallen wie Titan, Zirkonium oder Niob.

Enge Toleranzen

„Beim Schweißen von Titan ist der Elektronenstrahl beispielsweise dann von Vorteil, wenn innerhalb enger Toleranzen gefertigt werden muss, das Bauteil nicht zu heiß werden darf oder sehr große Schweißtiefen erforderlich sind“, betont von Wolff. Bauteile mit empfindlichem Innenleben, beispielsweise Sensoren, profitieren ebenfalls von den Vorteilen des Elektronenstrahlschweißens: Die geringe Wärmeübertragung auf das umgebende Material oder auf die dahinterliegende Elektronik sei bei der Herstellung von Drucksensoren von enormer Bedeutung, damit sie funktionsfähig bleiben. „Aufgrund der Verzugsarmut, der hohen Produktivität und der präzisen Regelung der Prozessparameter ist das Elektronenstrahlschweiß-Verfahren in der Automobilbranche besonders beliebt.“
Bei der Auswahl und Festlegung der Fertigungstechnologien spielen am Ende unter anderem auch die Kosten eine große Rolle. Während beim Laserstrahlschweißen die Investitionskosten linear mit der Schweißtiefe steigen, sind sie laut des Experten, beim Elektronenstrahl leistungsunabhängig. Je nach geforderter Tiefe könne der Elektronenstrahl deshalb im direkten Vergleich teurer, bei höheren Leistungen aber auch wesentlich preiswerter sein.
„Das Elektronenstrahlschweißen kommt vielfach bei der Herstellung von Bauteilen zum Einsatz, die hohen mechanischen Belastungen ausgesetzt sind und zum Beispiel zur Kühlung beziehungsweise zum Abtransport von Verlust- oder Prozesswärme verwendet werden. Der Kostenvorteil entlang der Wertschöpfungskette beträgt oft mehr als 25 Prozent – gepaart mit hoher Fertigungssicherheit, guter Reproduzierbarkeit und Qualität sowie kurzer Durchlaufzeit.“

Stromverbrauch

Eine abschließende Betrachtung macht deutlich, dass das Elektronenstrahlschweißen, wie auch die Lichtbogenprozesse sich in den vergangenen Jahren enorm weiterentwickelt haben. Die Prozessnebenkosten beschränken sich im Wesentlichen auf den Stromverbrauch, der im Vergleich zu anderen Schmelzschweißverfahren geringer ausfallen können.

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Catrin Senger
Catrin ist Redakteurin bei Edelstahl Aktuell. Stahl zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Berufsleben. Sie hat eine Ausbildung bei einem Großhändler für Rohr- und Rohrzubehör absolviert und in verschiedenen Funktionen bei einem Hersteller und Lieferanten von Analysegeräten für die Metallindustrie gearbeitet.