Voß Edelstahlhandel: „Andere reden darüber, wir machen es“

Fotos: Voß Edelstahlhandel GmbH & Co. KG

Generationswechsel und grüner Fußabdruck, Bürokratie und Ukrainekrieg, Verbandsarbeit und wirtschaftliche Entwicklung: Zahlreiche Themen bewegen derzeit die Geschäftsführung von Voß Edelstahlhandel. Im Gespräch mit Edelstahl Aktuell beziehen die beiden Geschäftsführer Markus Fischer und Thorsten Studemund Stellung zu aktuellen Fragen. Die Gruppe mit Hauptsitz in Neu Wulmstorf bei Hamburg ist inzwischen Europas letzter wirklicher Großhändler für Langprodukte aus Edelstahl und Aluminium. Rund 300 Mitarbeitende an 15 Standorten schlagen pro Jahr 45.000 Tonnen Material um.

Dekarbonisierung, Ressourcenschonung, der Umstieg auf grüne Energie: Das Thema Nachhaltigkeit prägt derzeit die Schlagzeilen. „Es ist schon erstaunlich, wofür andere sich gerade feiern. Da werden Maßnahmen in den Fokus gerückt, die für uns Selbstverständlichkeiten sind. Seit zehn Jahren treffen wir alle unternehmerischen Entscheidungen unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit“, betont Thorsten Studemund. So hat Voß Edelstahl schon vor zwölf Jahren eine Photovoltaikanlage mit einer Leistung von 60 kWp auf dem Firmengebäude installiert. Am Standort Rutesheim wurde vor zehn Jahren eine Anlage mit 220 kWp in Betrieb genommen. Und eine weitere Halle am Standort in Neu Wulmstorf soll eine Anlage mit der Leistungsfähigkeit von 750 kWp erhalten; hierfür werden derzeit die technischen Detailfragen geklärt. „Damit hätten wir unseren gesamten Energiebedarf selbst gedeckt, abgesehen natürlich von den LKW.“

Voß Edelstahlhandel: Das Thema Nachhaltigkeit prägt derzeit die Schlagzeilen.
Am Standort Rutesheim wurde vor zehn Jahren eine Anlage mit 220 kWp in Betrieb genommen.
Neue Transportflotte

Bei den Transportfahrzeugen ist die Lage tatsächlich etwas komplizierter. „Wir haben beispielsweise Mercedes besucht und festgestellt, dass es für uns noch keine passenden LKW-Lösungen gibt.“ Davon lässt sich die Geschäftsführung aber nicht aufhalten. Deshalb wurde vor zwei Jahren die gesamte Transportflotte der unternehmenseigenen Logistik-Tochter Travo Logistik GmbH ausgetauscht. „Wenn schon keine grüne Lösung verfügbar ist, dann setzen wir wenigstens auf die allerneueste Technik“, erläutert Markus Fischer. Die Logistik-Tochter betreibt einen Liniendienst zwischen den Voß-Standorten in Europa, so dass schnelle und verlässliche Lieferungen möglich sind.

Zudem bezieht das Unternehmen vom Versorger EWE „Naturwatt“-Strom und Green Gas. Die Beleuchtung in allen Lägern wurde auf LED umgestellt und für die Fahrzeuge der Mitarbeitenden stehen Dutzende Ladesäulen zur Verfügung. „Wie wir wieder einmal feststellen: Andere reden darüber, wir machen es schon“, betont Thorsten Studemund.

Damit das Ganze einen Rahmen erhält, steht im kommenden Jahr eine Zertifizierung auf dem Programm. Ab Januar startet die Zertifizierung nach dem CSRD-Standard (Corporate Sustainability Reporting Directive). „Im Grunde wird das, was wir seit Jahren machen, jetzt auch offiziell bestätigt. Ende kommenden Jahres erhalten wir die entsprechenden Plaketten“, so Thorsten Studemund.

Generationswechsel

Mit Nachhaltigkeit hat auch die langfristige Personalplanung des Unternehmens zu tun. „Wir arbeiten am Generationswechsel, und zwar auf allen Ebenen: von der Geschäftsführung über die Niederlassungsleiter und Abteilungsleiter bis zu den Mitarbeitenden“, sagt Markus Fischer. Dabei gilt es vor allem, Kontinuität zu gewährleisten. Auch hier hat die Geschäftsführung ein klares Konzept: „Wir suchen junge Menschen ebenso wie ältere. Junge Mitarbeitende sind zweifellos wichtig, aber ohne die Erfahrung der älteren geht es nicht“, begründet Thorsten Studemund.

Voß Edelstahlhandel: Generationswechsel
Die Gruppe Voß Edelstahlhandel mit Hauptsitz in Neu Wulmstorf bei Hamburg ist inzwischen Europas letzter wirklicher Großhändler für Langprodukte aus Edelstahl und Aluminium.

Für den internen Generationswechsel hat die Geschäftsführung einen Plan: Für jede Leitungsposition ist eine mehrjährige Übergangsphase vorgesehen. „Das heißt, dass die Nachfolger und Vorgänger eine gewisse Zeit eng zusammenarbeiten, die Positionen dann also zeitweise doppelt besetzt sind. Dann können die Nachfolger von ihren Vorgängern lernen und gleichzeitig ihre eigenen Ideen einbringen. Auf diese Weise ermöglichen wir einen gleitenden Wechsel.“ In einem Lager hat das schon ausgezeichnet funktioniert. Der Leiter hat über eine Altersteilzeitregelung seine Stunden schrittweise reduziert, während der Nachfolger sich einarbeiten konnte – und nach und nach die Verantwortung übernommen hat. Seine eigene Nachfolge ist für Thorsten Studemund natürlich ebenfalls ein Thema. Allerdings ohne Zeitdruck.

„Wir schauen uns schon um, müssen aber nichts übers Knie brechen. Wenn wir einen geeigneten Kandidaten finden, kann es ganz schnell gehen. Wenn wir mehr Zeit für die Suche brauchen, nehmen wir sie uns. Es muss auf jeden Fall fachlich wie menschlich passen. Wir sind da ganz entspannt.“ Markus Fischer hat noch einige Jahre mehr Zeit, hat das Thema aber ebenfalls schon im Hinterkopf.

Jung und Alt

Für die Belegschaft setzt die Geschäftsführung auf eine Kombination aus Jung und Alt. So beteiligt sich Voß Edelstahl im Verbund mit anderen Handelsunternehmen – nicht aus der Stahlbranche – an Ausbildungsmessen, Hochschultagen und anderen Recruiting-Veranstaltungen im Großraum Hamburg. „Wir treten im Verbund auf, damit wir gemeinsam eine Chance gegen Großkonzerne wie Airbus haben.“ Gleichzeitig sucht die Geschäftsführung nach Möglichkeiten, wie ältere Mitarbeiter auf eigenen Wunsch länger arbeiten können – auf verschiedenen Ebenen. Dafür werden sowohl die administrativen Voraussetzungen geschaffen als auch technische Lösungen entwickelt.

„In den Lägern versuchen wir beispielsweise, durch technische Unterstützung die körperliche Arbeit zu erleichtern. So haben wir bereits Exoskelette getestet und wollen Robotertechnik einsetzen. Mit solchen Hilfsmitteln wollen wir die Mitarbeitenden in die Lage versetzen, länger gesund arbeiten zu können. Daran sind jedenfalls viele Mitarbeitende interessiert“, berichtet Markus Fischer. Parallel werden die Hochregallager des Unternehmens modernisiert und auf den neuesten Stand gebracht.

Kaum Fluktuation

Zwar sind die Tätigkeiten im Büro körperlich leichter, dennoch ist auch hier Unterstützung geplant. „Mithilfe moderner Softwarelösungen befreien wir die Beschäftigten von sich wiederholenden Tätigkeiten. Dadurch bleibt die Arbeit interessant.“

Voß Edelstahlhandel: Kaum Fluktuation
Die Hochregallager des Unternehmens werden modernisiert und auf den neuesten Stand gebracht.

Ein Thema, das seit einigen Monaten die gesellschaftlichen Diskussionen rund um Personal dominiert, ist die 4-Tage-Woche. Auch hier hat Voß Edelstahl gehandelt und nicht nur geredet. „Auf Wunsch der Mitarbeitenden haben wir im Lager einen zweimonatigen Test durchgeführt. Dabei haben wir die Wochenarbeitszeit auf vier Tage komprimiert. Das heißt, die Mitarbeitenden haben an vier Tagen länger gearbeitet als zuvor und hatten dafür einen Tag in der Woche komplett frei.“ Das Ergebnis war für die Beschäftigten ernüchternd: Nur 6 von 50 Mitarbeitenden waren für die Veränderung. „Wir haben jedenfalls gezeigt, dass wir für die Wünsche der Beschäftigten offen sind.“ Eine Einstellung, die von den Mitarbeitenden auch wahrgenommen und geschätzt wird. Eine Fluktuationsrate von unter drei Prozent spricht für sich. Das führt sogar dazu, dass immer mehr Beschäftigte ihr 35- oder 40-jähriges Jubiläum bei Voß Edelstahl feiern. Heutzutage alles andere als selbstverständlich.

EURANIMI

Ebenfalls alles andere als selbstverständlich ist der Erfolg von EURANIMI, der European Association of Non-Integrated Stainless Steel and Aluminium Importers & Distributors. „Der Verband hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Lieferkette in unserer Branche endlich vollständig dargestellt wird“, so Studemund. Von den klassischen Verbänden wurden nur die Werke und die großen Hersteller repräsentiert, der Stahlgroßhandel fand in der politischen Diskussion nicht statt. Nicht ohne Stolz erinnert Thorsten Studemund daran, dass Voß Edelstahl zu den Gründungsmitgliedern von EURANIMI gehört. Mittlerweile zählt der Verband mehr als 50 Mitglieder.

Ein weiterer Effekt ist, dass das Unternehmen selbst sichtbarer geworden ist. So hat Voß Edelstahl beim Außenwirtschaftspreis des Landes Niedersachsen 2023 den zweiten Platz belegt. „Es ist schon ungewöhnlich, dass die Politik ein mittelständisches Handelsunternehmen wahrnimmt“, blickt Thorsten Studemund zurück. Zwischen Stahlproduzenten wie der Salzgitter AG und Anwendern wie Volkswagen werde der Stahlhandel als Versorger wahrgenommen.

Voß Edelstahlhandel: Breites Sortiment
Das Sortiment wurde von Voß Edelstahlhandel in den vergangenen Jahren in die Breite weiterentwickelt.
Breites Sortiment

Die Auszeichnung belegt aber auch: Es läuft wirtschaftlich rund bei der Voß Gruppe. „Die aktuelle gesamtwirtschaftliche Schwächephase macht sich natürlich auch bei uns bemerkbar. Allerdings haben wir unser Sortiment in den vergangenen Jahren in die Breite weiterentwickelt, was uns jetzt sehr zugutekommt“, berichtet Markus Fischer. Ein Trend bleibt die Bestellung kleiner Lose. „Nach der Einführung neuer Produkte ging die Entwicklung für kurze Zeit in die andere Richtung. Inzwischen setzt sich aber wieder verstärkt die Kleinlosigkeit durch.“ Darauf hat sich das Unternehmen auf allen Ebenen eingestellt.

Für viele Kunden hat Voß Edelstahl überdies die Kooperation durch digitale Schnittstellen erleichtert.

Allerdings braucht es immer zwei Seiten für die Digitalisierung. „15 Prozent unserer Kunden in Deutschland können keine digitalen Rechnungen verarbeiten. In allen anderen Ländern ist das kein Problem“, so Markus Fischer. „Für die analogen Rechnungen nutzen wir dann einen Service der Deutschen Post, die die digitalen Rechnungen ausdruckt, frankiert und zustellt.“

Digitalisierung

Apropos Digitalisierung: Die dazugehörigen Möglichkeiten baut das Unternehmen schrittweise aus. So wird derzeit in ein neues Warenwirtschaftssystem investiert, das in Kürze in Betrieb geht. Auch die vorhandenen Online-Services werden sukzessive weiterentwickelt. Stillstand ist auch in der digitalen Welt bei der Voß Gruppe ein Fremdwort.

Trotz der gedämpften gesamtwirtschaftlichen Aussichten hat die Voß Gruppe noch keine Zahlungsschwierigkeiten bei den Kunden festgestellt. „Der Stahlhandel hat aus der letzten großen Krise gelernt. Die meisten Unternehmen haben ihre Finanzbasis gestärkt und können jetzt problemlos auch schwächere Phasen überstehen“, ist Thorsten Studemund überzeugt.

„Eine andere Frage ist, welche Restriktionen uns die Politik noch auferlegt.“ Das CO2-Grenzausgleichssystem CBAM, das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz oder Safeguard-Maßnahmen sind nur einige Stichworte, hinter denen sich eine überbordende Bürokratie verbirgt, die den Arbeitsalltag nicht gerade leichter macht.

Voß Edelstalhandel: Digitalisierung
Derzeit wird in ein neues Warenwirtschaftssystem investiert, das in Kürze in Betrieb geht.

Russland-Geschäft beendet

Restriktionen aus einer völlig unerwarteten Ecke hat der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine zur Folge. Auch hier zeigt die Geschäftsführung der Voß Gruppe klare Kante: „Am ersten Tag des Krieges haben wir sofort alle Lieferungen nach Russland gestoppt, egal, wo die LKW gerade waren“, betont Thorsten Studemund. Auch die Niederlassung in Moskau, die rund zehn Jahre lang betrieben und weiterentwickelt worden war, wurde umgehend geschlossen und betriebswirtschaftlich abgeschrieben. „Zu unserem Niederlassungsleiter haben wir praktisch keinen Kontakt mehr. Die russischen Behörden machen es uns allerdings unmöglich, den Betrieb offiziell einzustellen, deshalb befindet sich die Niederlassung in einem inaktiven Status.“ Zudem werden keinerlei Lieferungen mehr aus Russland bezogen. Hierzu gibt es in dem Unternehmen keine zwei Meinungen. „Ich würde mir jedenfalls wünschen, dass andere Firmen genauso konsequent handeln und nicht aus wirtschaftlicher Unvernunft die Sanktionen unterlaufen. Schließlich finanzieren die Einfuhr- und Ausfuhrzölle den Krieg“, so der Geschäftsführer. Und das sei nicht zu verantworten.

In einem Schreiben hat die Geschäftsleitung die Kunden über den Schritt informiert und um Verständnis für daraus möglicherweise entstehende Lieferverzögerungen gebeten. Markus Fischer hat dieses Anschreiben auch auf der Social-Media-Plattform LinkedIn geteilt – mit unfassbarem Impact. „Der Beitrag wurde 2,6 Millionen Mal gelesen. Es gab unglaublich viele Reaktionen. Für kurze Zeit war ich ein erfolgreicher Influencer“, blickt er zurück. Aber auch die bundesweite Presse wurde auf Voß Edelstahl aufmerksam. Vom Handelsblatt bis zur Nachrichtenagentur Reuters gaben sich die Journalisten die sprichwörtliche Klinke in die Hand. Dabei ist ein solcher medialer Rummel der Geschäftsleitung eigentlich zuwider. „Wir haben dann auch die Reißleine gezogen. Man konnte ja den Eindruck gewinnen, wir repräsentieren alleine die deutsche Stahlindustrie“, so Thorsten Studemund.

Händlerversprechen

Ob Nachhaltigkeit oder Generationswechsel, Ukraine-Krieg oder Bürokratie – egal, was die Geschäftsführung gerade bewegt, einem Grundsatz bleibt das Unternehmen treu: „Wir halten unser Händlerversprechen. Wir sind der letzte Großhandel in unserer Branche, alle anderen sind irgendwann doch bei Großabnehmern gelandet. Wir stehen zu unserer Ausrichtung“, betont Thorsten Studemund. Das sei schließlich das Alleinstellungsmerkmal von Voß Edelstahl. Egal, wie turbulent die Zeiten auch sein mögen …

Catrin Senger
Catrin ist Redakteurin bei Edelstahl Aktuell. Stahl zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Berufsleben. Sie hat eine Ausbildung bei einem Großhändler für Rohr- und Rohrzubehör absolviert und in verschiedenen Funktionen bei einem Hersteller und Lieferanten von Analysegeräten für die Metallindustrie gearbeitet.

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Catrin Senger
Catrin ist Redakteurin bei Edelstahl Aktuell. Stahl zieht sich wie ein roter Faden durch ihr Berufsleben. Sie hat eine Ausbildung bei einem Großhändler für Rohr- und Rohrzubehör absolviert und in verschiedenen Funktionen bei einem Hersteller und Lieferanten von Analysegeräten für die Metallindustrie gearbeitet.